5 Fragen an ... Martin Pollack

5 Fragen an ... Martin Pollack

Sie sagen: Wer aus so einer Familie wie ich stammt, verschreibt sich lebenslang dem Imperativ des Niemals-Vergessen. Was meinen Sie damit?
Ich war immer der Ansicht, dass ich keine persönliche Schuld auf mich geladen habe, obwohl ich aus einer Familie überzeugter Nationalsozialisten stamme, in der es auch Täter gab. Ich genieße in der Hinsicht, um mit Helmut Kohl zu sprechen, die Gnade der späten Geburt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich mich aus der Verantwortung für diese Taten stehlen kann. Ich bin nicht schuldig, aber ich bin meines Erachtens verpflichtet, mich mit diesem Kapitel unserer Geschichte zu beschäftigen und, im Rahmen meiner Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass diese Ereignisse und auch die Täter nicht in Vergessenheit geraten. Besonders wichtig erscheint es mir dabei, die Entwicklung ins Auge zu fassen, die dazu geführt hat.

Der Tote im Bunker war ein Meilenstein der Erinnerungsliteratur. Was hat sich seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2004 für Sie geändert?
Seit dem Erscheinen dieses Buches über meinen Vater hat sich viel verändert. Eine neue Generation von Historikern und Schriftsellern hat zahlreiche wichtige Werke zu dieser Problematik publiziert. Und es erscheinen weitere Arbeiten und literarische Werke. Das ist sehr erfreulich. Andererseits hat sich das Klima nicht nur in den deutschsprachigen Ländern radikal gewandelt. Wir beobachten einen radikalen Rechtsruck, eine beunruhigende Renaissance eines Nationalismus, oft verbunden mit mehr oder weniger offenen Rückgriffen auf den Nationalsozialismus. In Österreich brauchen wir nur an die sogenannten „Einzelfälle“ zu denken, in denen Funktionäre oder Sympathisanten der FPÖ ihre Sympathien mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus kundtun. Der Mordfall an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke stellt überhaupt eine völlig neue Dimension der neonazistischen Agitation dar. Darauf müssen wir reagieren, mit aller nötigen Schärfe und Härte.

Was hat Sie dazu veranlasst, sich noch einmal mit der engeren Familiengeschichte auseinanderzusetzen?
Als ich erfuhr, dass meine Großtante Pauline von den kommunistischen Partisanen 1945 festgenommen und in ein Konzentrationslager gebracht wurde, wo sie elend zugrunde ging, war das beinahe ein Schock für mich. In Der Tote im Bunker hatte ich noch vermutet, dass sie friedlich gestorben sei und im Familiengrab beigesetzt wurde, das heute nicht mehr existiert. Sie war eine gewöhnliche, vielleicht eine wenig verschrobene Frau, die jedoch nicht den radikalen Deutschnationalismus, Antislawismus und Antisemitismus ihrer Brüder teilte. Das erschien mir im Licht der Familiengeschichte durchaus bemerkenswert. Deshalb kam ich auf die Idee, ihre Geschichte zu erzählen, obwohl sie selbst ja wenig Spuren hinterlassen hat. Aber gerade die Tatsache, dass sich Tante Pauline in all der Zeit ihre Anständigkeit bewahrt hat, ohne das an die große Glocke zu hängen, bestärkte mich in der Absicht, mich mit ihr auseinanderzusetzen.

Die Burschenschaften mit ihren Mensuren und Schmissen, die Kneiprituale – Sie kennen sich in diesem deutschnationalen Milieu gut aus. Bis vor zehn, fünfzehn Jahren hatte es den Anschein, als würden diese männerbündlerischen, ewig gestrigen Verbindungen endgültig verschwinden bzw. nur mehr im Bierdunst ihrer Buden wesen. Plötzlich tauchen sie wieder auf. In Österreich saßen ihre Mitglieder bis zum Ibiza-Video der Vandalia-Burschen Strache und Gudenus sogar in der Regierung und in den Ministerkabinetten. In der derzeitigen Expertenregierung bekleidet einer von ihnen das Infrastrukturministerium. Worauf führen Sie das zurück?
Ich bin aufgewachsen in einem radikal deutschnationalen, nationalsozialistischen Milieu. Dazu kommt, dass alle männlichen Verwandten väterlicherseits – mein Großvater und seine Brüder, mein Vater, meine Onkeln – schlagende Burschenschaftler waren, mit allem, was dazugehört. Ich habe eine radikale Trennung von meiner Familie vollzogen, nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass sich in dieser auch nach dem Krieg niemand änderte, keiner etwas zurücknahm oder gar Bedauern darüber äußerte, was geschehen war, mit aktiver Mithilfe meines Vaters oder Großvaters. Ich war der Meinung, dass sich zumindest das Problem der Burschenschaften sozusagen biologisch von selber lösen würde. Das war ein fataler Irrtum. Plötzlich tauchten diese Typen wieder auf, jünger, gewandter, geschickter als die altern Burschenschaftler, wie ich sie gekannt habe. Aber nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil, heute sind sie auf dem Weg durch die Institutionen, wie man einmal gesagt hat, sie nehmen einflussreiche Positionen ein. Ich habe mich oft gefragt, wie das kommt, ob wir etwas versäumt haben? Ja, das haben wir. Wir haben diese Leute, dieses Milieu als Ganzes unterschätzt, ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Willen zur Macht. Dafür sind sie bereit, zivilisierter, leiser, manchmal fast staatsmännisch aufzutreten – aber im Inneren haben sie sich nicht geändert. Sie verfolgen nach wie vor die gleichen Ziele wir früher: eine Schwächung der Demokratie und ihrer Institutionen, ein autoritäres Regime, das skrupellos Andersdenke an den Rand drängt oder nach Möglichkeit ganz ausschaltet. Es wird an uns liegen, dem entgegenzuwirken und diese Kräfte in Schach zu halten.

Ihre Bücher werden jetzt aufs Neue oder überhaupt zum ersten Mal in mitteleuropäischen Ländern wie Tschechien, der Slowakei, Ungarn, aber auch Italien entdeckt und mit großem Erfolg verlegt. Warum ist das so?
In vielen mitteleuropäischen Ländern, die einst zum sogenannten Ostblock gehörten, beschäftigt man sich seit einiger Zeit zunehmend mit der jüngsten Geschichte, befreit von den ideologischen Scheuklappen der kommunistischen Ära. Dazu gehören auch schmerzliche Kapitel wie etwa die Tatsache, dass Polen, Ukrainer, Tschechen, Slowaken aber auch Slowenen, um nur einige Beispiele zu nennen, nicht nur Opfer waren, sondern auch Täter. Das weckt auch das Interesse an ähnlicher Literatur etwa aus dem deutschsprachigen Raum. Bei Diskussionen über meine Bücher, etwa in der Ukraine oder in der Slowakei, wurde oft im Publikum die Frage aufgeworfen, wann solche Bücher auch in ihrem Land erscheinen würden. Das erklärt meines Erachtens das Interesse für meine Bücher, für die Art, wie ich diese Geschichten erzähle, ohne etwas auszublenden oder zu verschweigen.

© Herbert Ohrlinger, Zsolnay Verlag

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