5 Fragen an ... Markus Albers

5 Fragen an ... Markus Albers

Lieber Markus Albers, du beschreibst in Deinem Buch, wie Du Dich nach anfänglicher Euphorie durch das neue Arbeiten immer stärker belastet fühlst. Was waren die Symptome?
Dass ich ein Problem habe, habe ich gemerkt, als meine damals vierjährige Tochter begann zu mir zu sagen: „Schau nicht immer auf Dein Handy, Papa.“ Ich war bei ihr, aber in Gedanken war ich weit weg. Die Arbeit verfolgte mich ständig. Zwar (Wh) trat das ursprüngliche Versprechen des neuen Arbeitens durchaus ein: Ich habe räumlich und zeitlich die Kontrolle über mein Leben zurückbekommen, bin nicht mehr den ganzen Tag an den Schreibtisch gekettet. Das ist inzwischen Mainstream geworden – heute arbeitet schon die Mehrheit der Deutschen teilweise oder ausschließlich mobil. Aber ich habe die Schattenseiten unterschätzt: Wir sind immer erreichbar, können nie abschalten. Die Arbeit sickert noch in den letzten Lebensbereich ein.

In der New York Times hieß es neulich, der Work-Life-Mix sei dabei die Work-Life-Balance zu ersetzen, was bedeutet das?
Wir quetschen immer mehr Leistung und Ergebnisse in unseren Tag, stehen ständig unter Strom, schalten nie ab. „Arbeitsverdichtung“ nennen Experten das. „Lebensverdichtung“ wäre ein passenderer Begriff. 84 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer sind erreichbar, nachdem sie das Büro verlassen haben. 46 Prozent haben keine 5-Tage-Woche, sondern arbeiten auch abends und an den Wochenenden. Die Mehrheit ist auch während des Urlaubs für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar. Viele arbeiten mit ihrem Smartphone, Tablet oder Computer kurz bevor sie schlafen gehen. Ich glaube: Wenn meine Kinder in zehn Jahren ins Berufsleben eintreten, werden sie das Wort „Feierabend“ nicht mehr kennen. Wir müssen aufpassen, dass wir – bei aller Begeisterung für Technologie und moderne Arbeitsweisen – jetzt nicht die Weichen falsch stellen, dass wir uns nicht bald in einer Arbeitswelt wiederfinden, die keiner so wollte. Denn Trends wie Augmented Reality oder sprachgesteuerte Assistenzsysteme mit Künstlicher Intelligenz werden die Entwicklungen noch verstärken und beschleunigen.

Sieht man schon jetzt konkrete Folgen dieser Entwicklung?
Die sieht man allerdings: Über 50 Prozent der Deutschen haben regelmäßig Schlafprobleme, 13 Prozent sogar jede Nacht. Die Zahl der Fälle von psychischen Erkrankungen, die wohl auf Stress zurückzuführen sind, stieg seit 1994 um 120 Prozent. Die Krankenkassen schlagen schon Alarm, mahnen, dass Flexibilität klare Schranken braucht. Aber der Trend geht in die entgegengesetzte Richtung. Die wirtschaftlichen Kosten belaufen sich schon heute auf 225 Milliarden Euro pro Jahr. Da müssen wir dringend grundlegend umsteuern.

Für Dein Buch hast Du mit zahlreichen Führungskräften gesprochen. Was wäre der zentrale Schritt in Politik und Wirtschaft, um Arbeit in digitalen Zeiten menschenfreundlich zu gestalten?
Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Ich bin kein Maschinenstürmer. Die Digitalisierung wird unaufhaltsam weitergehen, und das hat ja auch viele Vorteile. Wir müssen aber die Schattenseiten klar benennen und die Spielregeln stärker definieren. Unser größtes Problem heute: Die Unternehmen führen mit großer Begeisterung das Neue ein, vergessen dabei aber, das Alte abzuschaffen. Wir sollen um 23 Uhr noch E-Mails beantworten, aber trotzdem am nächsten Morgen um neun wieder im Büro sitzen. Beides geht nicht, das macht die Menschen kaputt. Die neue Welt räumt uns theoretisch viele persönliche Freiheiten in der zeitlichen und räumlichen Gestaltung von Arbeit ein. Die alte, hierarchisch organisierte und auf maximale Effizienzsteigerung hin optimierte Unternehmenswelt ist aber immer noch da, und im Ergebnis haben wir das schlechteste aus beiden Welten: ständige Erreichbarkeit und Kontrolle ohne Flexibilität und Freiheit. Politisch und gesellschaftlich brauchen wir eine viel intensivere Debatte darüber, wie wir mit den neuen digitalen Werkzeugen zusammenarbeiten und -leben wollen. Welche Regeln wollen wir uns geben, was geht, was nicht mehr? Ich bin skeptisch, ob neue Gesetze helfen. Aber das Thema muss ganz dringend schon an Schulen unterrichtet werden.

Du erzählst konkret von dem Spagat zwischen Familie und der ständigen Erreichbarkeit, das Buch dokumentiert auch Deinen ganz persönlichen Weg raus aus der digitalen Erschöpfung. Was hast Du seither in Deinem (Arbeits-)Leben geändert?
Sehr vieles, und ich bin heute viel zufriedener. Im Buch beschreibe ich detailliert verschiedene erfolgreiche Strategien. Nur ein paar Beispiele: Ich habe bewusst damit aufgehört, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Multitasking ist extrem verlockend, aber nachweislich unmöglich. Also: Nicht die Mails checken, während ich telefoniere. Nicht aufs Handy gucken, während die Tochter Sandmännchen schaut. Dann habe ich mir ein sogenanntes Dumbphone besorgt, mit dem man nur telefonieren kann, sodass ich das Smartphone mit all seinen Ablenkungen auch mal in der Schublade lassen kann. Das wichtigste ist Transparenz und klare Kante: Ich spreche ab, auf welchen Kanälen ich wann erreichbar bin. Bei welchen Kommunikationen Kollegen mich in Kopie nehmen sollen und bei welchen nicht, was ich entscheiden will und was ich delegiere. Ich versuche, allen freundlich beizubringen, mich nur in dringenden Fällen anzurufen. Kunden wissen, dass ich zweimal pro Woche die Kinder von Schule und Kita abhole, also auch mal nachmittags nicht erreichbar bin. Alle haben verstanden, dass ich ein Leben neben der Arbeit habe, das ich mit Klauen und Zähnen verteidige.

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