5 Fragen an ... Lisabeth Posthuma

5 Fragen an ... Lisabeth Posthuma

Liebe Lisabeth Posthuma, in der Videothek ROYO Video, in der die Protagonisten von Baby & Solo arbeiten, dürfen sich alle Angestellten nach Filmfiguren benennen. Was wäre dein ROYO-Name?
Ich liebe diese Frage, auch wenn sich meine Antwort darauf jedes Mal, wenn ich sie gestellt bekomme, zu ändern scheint. Als ich 17 war, wie Joel im Buch, hätte ich wahrscheinlich eine Figur aus einem Film gewählt, den ich zwar kannte, aber über den ich nichts wusste – etwa Holly Golightly aus Frühstück bei Tiffany oder Barbarella. Und wenn ich dann endlich den Film gesehen hätte, aus dem der Name stammt, hätte ich mich völlig falsch dargestellt gefühlt, ähnlich wie Baby. Wenn man mich allerdings fragt, welchen Namen ich heute wählen würde, würde ich vermutlich Bailey sagen; nach George Bailey aus Ist das Leben nicht schön?. Ich weiß, viele Leute denken, der Film sei kitschig und voller Klischees, aber ich liebe ihn. Es ist eine einfache Geschichte über einen guten Menschen, der sich als Versager fühlt, weil er nicht so erfolgreich ist, wie er es sich immer erträumt hat. Nur um dann zu erfahren, dass er in all den Dingen, die wirklich wichtig sind, der reichste Mann der Stadt ist. Vielleicht ist es die Idealistin in mir, aber ich finde den Film inspirierend und hoffnungsvoll. Es ist der einzige Film, den ich mir immer wieder ansehe und dessen ich trotzdem nie überdrüssig werde.

Heutzutage gibt es kaum noch Videotheken. Wie bist du auf die Idee gekommen, deine Geschichte an einem so speziellen Ort spielen zu lassen?
So wie Soda-Shops und Plattenläden die Jahrzehnte davor geprägt haben, waren in den 1990er Jahren Videotheken eine kollektive Erfahrung für viele Menschen – entweder weil sie dort arbeiteten oder weil sie sie aufsuchten. Heute ist das nicht mehr der Fall, die Videoverleihbranche stirbt wegen der Streamingdienste seit fast zwei Jahrzehnten einen langsamen Tod. Was ich am traurigsten am Verschwinden der Videotheken finde, ist nicht der Verlust des Verleihservices, den sie eigentlich anboten, sondern dass es nichts wirklich Gleichwertiges gibt, was sie ersetzt. Was ist heutzutage „der Arbeitsplatz für die coolen Kids”, jetzt wo Malls, Buchläden, Videospielhallen und Videotheken verschwinden? Welche kollektiven Erfahrungen werden zukünftige Generationen machen? Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Joel Baby und den Rest der Gang von ROYO Video nie kennengelernt hätte, wenn er den Job dort nicht angenommen hätte, und dann ginge es ihm schlechter. Es fühlt sich so an, als wären wir auf dem besten Wege, die meisten Erfahrungen abzuschaffen, die es uns ermöglichen würden, physisch neue Leute kennenzulernen; Menschen, die nicht Teil unserer gefilterten Nischenwelten sind, die wir uns online erschaffen. Was ich sagen will: Ich finde es romantisch, wie ROYO Video diesen buntgemischten Haufen an Außenseitern zusammenbringt; ich sehe die Videothek als eigene Figur, und sie ist eine meiner Lieblingsfiguren in der ganzen Geschichte.

Baby & Solo handelt von einer besonderen Freundschaft, beschäftigt sich aber auch mit schwierigen Themen wie mentaler Gesundheit, Trauma und Homophobie. Was hat dich zu dieser Geschichte inspiriert und wie wichtig war es dir, diese Themen zu verarbeiten?
Diese Geschichte ist für mich in vielerlei Hinsicht persönlich. Ein Grund dafür ist, dass ich von dem sozialen Konstrukt „normal“ fasziniert bin. Im Laufe der Geschichte haben die Menschen nur allzu oft das, was als normal galt, gleichgesetzt mit dem, was als richtig oder ideal galt – was oft gar nichts miteinander zu tun hat. In den 1990er Jahren wurden zum Beispiel Homophobie und Ängste im Zusammenhang mit psychischen Krankheiten normalisiert, sehr zum Schaden der Gesellschaft. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich hatte definitiv mit dem Druck zu kämpfen, normal zu sein, wenn ich gerade nicht der gängigen Definition von Normalität entsprach. Die Geschichte von Joel, der mit seiner Vergangenheit kämpft, um sein Leben in einen normalen, gesellschaftsfähigen Kontext zu verpacken, fühlte sich für mich wie eine vertraute und wichtige Reise an; eine Reise, die zu schreiben ich sowohl herausfordernd als auch befreiend fand.

Welche Botschaft möchtest du mit Baby & Solo an die Leserinnen und Leser weitergeben?
Ich hatte nicht vor, eine universelle Botschaft mit dieser Geschichte zu vermitteln, aber, wenn ich hoffnungsvoll sein darf: Es wäre großartig, wenn jemand die Geschichte von Babys und Solos Freundschaft liest und zum Anlass nimmt, sich gegenüber jemandem, der ihm oder ihr viel bedeutet, verletzlicher zu zeigen. Oder umgekehrt: als Anlass, die Verletzlichkeit anderer Menschen mehr wertzuschätzen.

Welcher Abschnitt ist deine Lieblingsstelle und warum?
Eine meiner Lieblingspassagen ist am Anfang des Buchs, als Joel über ein Erlebnis berichtet, das er während seiner Zeit in der Psychiatrie hatte. Ein anderer Patient teilt darin ein sehr privates, traumatisches Erlebnis, das er durchmachen musste – was alle in der Gruppentherapie emotional unglaublich mitnimmt. Und dann, unmittelbar danach, gehen alle zusammen zum Essen und sprechen über die Video Music Awards. Joel sagt: „Es schien unmöglich, dass diese beiden Momente an einem Tag oder auch nur auf einem Planeten passieren konnten, aber so war es, und irgendwann wurde mir klar, dass Kindesmisshandlung und MTV sich nicht gegenseitig ausschlossen. Jeder hatte verschieden große Päckchen Sonnenschein und Scheiße zu tragen, und man konnte sich nicht immer auf die Scheiße konzentrieren.“ Ich mag diese Stelle aus mehreren Gründen. Erstens finde ich es immer wichtiger, zwei entgegengesetzte, widersprüchliche Standpunkte als wahr zusammenbringen zu können. Diese Stelle erinnert mich auch daran, dass es notwendig ist, das Glück, das es in der Welt gibt, anzuerkennen, besonders wenn die Dinge schwer sind. Und schließlich erinnert sie mich daran, dass Empathie wichtig ist, da wir alle Opfer von irgendwas sind, auch wenn es für andere nicht unbedingt sichtbar ist.

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