5 Fragen an ... Lisa Moore

5 Fragen an ... Lisa Moore

Lisa Moore, in Ihrem Buch Fremde Hochzeit steckt die Tiefe des Lebens – Liebe und Verlangen, Verlust und Einsamkeit – oft in vermeintlichen Alltäglichkeiten: einer Gartenparty, einer Begegnung im Supermarkt, ein flüchtiger Blick auf einen Morgenmantel an einem Haken. Woher nehmen Sie die Inspiration für diese unglaublich treffenden Beobachtungen?
Vielen Dank! Ich habe an der Kunstakademie studiert, wo wir unter anderem lernten, wie man Bewegungen einfängt. Diese Zeichnungen werden für gewöhnlich mit Kohle angefertigt, das Model verändert dabei alle ein bis zwei Minuten seine Pose. Die Zeichnungen sind oft ein ziemliches Gekritzel, die Figur des Models wird rasch eingefangen, manchmal sogar ohne einen Blick auf das Papier zu werfen. Zeit zum Nachdenken gibt es nicht. Ich versuche, auf dieselbe Art und Weise zu schreiben. Aus diesem schnellen Arbeiten ohne Innehalten und Hinterfragen entstehen manchmal Zeilen, die dann Bedeutung bekommen, wenn sie in den Kontext einer Geschichte gesetzt werden. Diese Art des Schreibens oder Notierens erfordert viel Energie und vor allem ein Gefühl von Selbstvergessenheit. Es dauert nie lange an und ist mit Hinblick auf die Anzahl brauchbarer Wörter auf einer Seite nicht sonderlich erträglich, aber für mich beginnt so das Einsinken in den Schreibprozess. Und wenn es etwas davon in die Kurzgeschichte schafft, ist es meistens der Kern der Geschichte.

In vielen Ihrer Geschichten geht es um das Auf und Ab von Beziehungen, um die Unabhängigkeit von Frauen oder ums Muttersein. Sie sind selbst Frau, Mutter und Partnerin. Wie beeinflusst Sie das beim Schreiben?
Als Mutter habe ich früh gelernt, mir Zeit für das Schreiben zu nehmen. Ich bin daran gewöhnt, jede Gelegenheit zu ergreifen, auch wenn das bedeutet, inmitten von Lärm und Chaos zu schreiben. Ich bin sehr schnell fokussiert und kann die Welt um mich herum ausblenden. Diese Art des „Trainings“ erlaubt mir, mich von einem Augenblick auf den nächsten tief in das Schreiben eines fiktionalen Werks zu vertiefen. Gleichzeitig bedeutet das Muttersein natürlich, dass ich oft über die Dinge schreibe, die in dem Moment, in dem meine Finger die Tastatur berühren, in unmittelbarer Nähe sind: das Sonnenlicht, das auf die dünnste und rosafarbigste Stelle eines Katzenohres fällt, dasselbe Licht, das die Schnurrhaare der Katze wie dünne brennende Nadeln erscheinen lässt, und wie die schwarze Oberfläche meines Handydisplays neben meinem Ellbogen die Wolken reflektiert, die in einem Netz von Zweigen gefangen sind, die zerquetsche Ecke einer leeren Zellophan-Packung, die Müsli enthielt, sogar jetzt, als ich schreibe leuchtet das Telefon auf, schreckt mich aus meinen Gedanken und das Klingeln zerreißt die Stille. Es gibt Neuigkeiten: die Tochter eines Freundes hat ihr erstes Kind bekommen, ein Mädchen!

Viele Ihrer Figuren fragen sich: Wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich in diesem bestimmten Moment eine andere Entscheidung getroffen hätte? Was sind Ihre Gedanken zu diesen lebensverändernden Momente, die wir oft erst Jahre später erkennen?
Ich liebe diese Momente – für Schriftsteller und Schriftstellerinnen sind das die besten Augenblicke. Hier wird sowohl deutlich, wie die Welt einem Protagonisten begegnet als auch wie der Protagonist der Welt begegnet. In diesen Momenten kann alles stecken: Schicksal, Risiko, Glück, Willensstärke, Gewalt, Veränderung – und natürlich der Wendepunkt oder der Point of no Return. Ich bin weiß nicht, ob es diese Punkte tatsächlich gibt, oder ob sie eine Erfindung sind, um Spannung zu erzeugen. Wenn es sie gibt, existieren sie dann nur im Rückblick? Und wenn es sie nur rückblickend existieren, können sie ihre Gestalt wandeln, sich verändern, unbedeutend werden oder im Laufe der Zeit eine neue Bedeutung bekommen? Dies sind Fragen, mit denen sich jeder Schriftsteller herumschlägt: Wir verlieren uns in diesen Momenten der Veränderung. Aber der Verlust kann Freiheit bedeuten, und Offenbarung.

Sie haben diese Geschichten über einen langen Zeitraum geschrieben. Der rote Faden, der sich durch fast alle Ihre Erzählungen zieht, ist Kanada und seine Natur, Städte und Menschen. Würden Sie sagen, dass sie etwas „spezifisch Kanadisches“ haben?
Vielleicht ist das Kanadische an ihnen vor allem die Form: Die Kurzgeschichte wird hier sehr hochgehalten, es gibt quer durch das Land und in jeder Region Literaturzeitschriften, die Publikationsmöglichkeiten für Erzählungen, Experimente und formale Wagnisse bieten. Es gibt so viele ausgezeichnete kanadische Kurzgeschichtenschreiber und -schreiberinnen – Alice Monroe, Mavis Gallant, Eden Robinson, Zsuzsi Gartner, um nur einige zu nennen. Kurzgeschichten zu schreiben bedeutet in Kanada, im Gespräch mit diesen Stimmen zu sein. In Neufundland, wo ich herkomme, leben außerdem viele Menschen mit Vorfahren aus Irland. Vielleicht ist das der Grund, wieso ich Erzählungen so sehr liebe. Anne Enright, John McGahern, Edna O’Brien, Roddy Doyle. Etwas von deren Tonfall und Witz ist mir sehr vertraut und ein Teil von mir.

Sie haben auch einen Roman geschrieben, sind aber im Verlauf Ihrer Karriere als Schriftstellerin immer zur Kurzgeschichte zurückgekehrt. Was schätzen Sie an der kurzen Form?
Die Form der Kurzgeschichte birgt gleichzeitig Freiheit und Beschränkung. Sie ist definiert durch ihre „kurze Länge“. Aber wir wissen, dass sogar die kürzesten Geschichten die Kraft haben, die Welt heraufzubeschwören, Charaktere zu erschaffen, die so lebendig sind wie unsere Geliebten, Kinder oder Eltern, so präsent wie Fremde auf der Straße. Sie können unglaublich packend und berührend sein. Und sie erlauben formale Experimente. Sie sind hypnotisierend und eindringlich und weil sie kurz sind, halten sie uns in ihrem Bann, bis die Geschichte vorbei ist.

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