5 Fragen an ... Lisa Halliday

5 Fragen an ... Lisa Halliday

Liebe Lisa Halliday, Dein Roman beginnt mit Alice, einer jungen Lektoratsassistentin in New York, die auf einer Parkbank dem berühmten und sehr viel älteren Schriftsteller Ezra Blazer begegnet. Was folgt, ist eine innige Liebesbeziehung, die zugleich denkbar „asymmetrisch“ ist. Was verbindet dieses ungleiche Paar? Wo siehst du es im größeren gegenwärtigen Kontext von #metoo?
Ezra ist Schriftsteller. Alice will Schriftstellerin werden. Beide haben sie die entsprechende künstlerische Sensibilität: sie sind neugierig, sinnlich, verspielt, phantasievoll. Gerade wegen ihrer unübersehbaren Asymmetrie, ebenso wie der darin verborgenen subtileren Symmetrien, passen sie so gut zusammen. Ihre Unterschiede bereichern ihre gemeinsame Zeit. Sie lernen voneinander; sie kümmern sich um einander. Sie hören einander zu und bringen einander zum Lachen. Kurz, es ist eine Liebesbeziehung wie die meisten anderen auch. Alle Liebesbeziehungen sind bis zu einem gewissen Grad asymmetrisch; alle Beziehungen bringen Ungleichheiten mit sich, die sich verschieben und entwickeln. Sowohl Alice als auch Ezra wollen diese Affäre, egal welches Risiko das vielleicht mit sich bringt. Insofern scheint mir die #metoo-Bewegung – die sich erst geformt hat, nachdem ich den Roman abgeschlossen hatte – in dieser Hinsicht eigentlich nicht so relevant. Vielleicht ist sie das in den Augen anderer; vielleicht dient das Buch in ihren Augen als Beispiel oder Gegenbeispiel. Das sind natürlich einige der Kennzeichen von Literatur: ihre Subjektivität und ihre Fähigkeit, über die Zeit neue Bedeutungen anzunehmen.

In einer Besprechung der New York Times hieß es, Asymmetrie sei „so seltsam und umwerfend schlau, dass seine schiere Existenz den gegenwärtigen Zustand der Literatur zu kommentieren scheint.“ Umgekehrt sagt es natürlich auch viel über eine Gesellschaft aus, die zunehmend nach ‚authentischen’, ‚wahren’ und ‚wirklichen’ Geschichten verlangt, dass viele deiner Kritiker Alices Erzählung kurzerhand mit deinem eigenen Leben gleichsetzten. Wie bist du mit dem Etikett „Autofiktion“ umgegangen?
„Verrücktheit“ [der erste Teil des Romans] ist kein Memoire. Es ist kein wahrheitsgetreuer Bericht über eine frühere Beziehung von mir. Gewisse Einzelheiten und Situationen darin entsprechen Einzelheiten und Situationen, die ich selbst beobachtet oder erfahren habe, aber das ist doch bei jedem fiktiven Werk so, und die Übereinstimmungen werden bei weitem von den Abweichungen übertroffen.
Ich weiß nicht, was Autofiktion ist. Ich finde es keinen sehr hilfreichen Begriff. Jeder jemals geschriebene Satz, ob fiktional oder nicht, wird durch die Biographie des Autors geprägt und vorgezeichnet. Selbst was wir „erfinden“ oder uns „vorstellen“ ist nie ganz erfunden oder vorgestellt: es hat seine Ursprünge in unserem Bewusstsein, unserer bisherigen Lebenserfahrung, anderenfalls könnten wir es nicht schreiben. Ich nehme an, ausschlaggebend dafür, ob ein Roman als Autofiktion angesehen wird, ist, in welchem Maße ein Erzähler oder eine Figur Identifizierungsmerkmale des Autors oder der Autorin teilt – wie Alter, Nationalität, Berufserfahrung, geographische Koordinaten usw.; manchmal tragen sie sogar sogar den gleichen Namen. Doch wenn der Biographie eines Autors mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als den Stärken und Defiziten des kreativen Werks selbst scheint mir das eine beschränkte und vielleicht sogar zynische Art zu lesen und über Literatur zu denken.

Im zweiten Teil deines Romans geht es um Amar, einen amerikanisch-irakischen Wirtschaftswissenschaftler, der am Londoner Flughafen Heathrow in Gewahrsam genommen wird. Zwischen absurden Verhören durch Grenzschutzbeamte erzählt er uns von seinem Leben und dessen zunehmender Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen, West und Nahost. Wie bist du auf Amar gekommen, was hat dein Interesse an dieser Figur geweckt?
Wie Amar wurde mir in Heathrow einmal die Einreise verweigert. Die Umstände waren allerdings andere: ich wurde über Nacht, ungefähr von acht Uhr abends bis drei Uhr früh festgehalten, weil ich in den vorangehenden zwei Jahren so oft nach England zu meinem Freund geflogen war, der damals in London arbeitete. Zu guter Letzt hat mich der Grenzschutz passieren lassen, allerdings mit einem Stempel in meinem Pass, der mir verbot, nach Großbritannien zurückzukehren, bis ich ein Visum erhalten hätte.
Wie in meinem Fall ist Amars Reisefreiheit bedroht. Doch anders als in meinem Fall findet er sich in einer Situation feindlicher Restriktion wieder, wo seine Identität und seine Absichten unter Verdacht stehen. Die Gründe für diesen Verdacht werden nicht offenbart, stehen jedoch offensichtlich im Zusammenhang mit Amars Aussehen, seinem Namen oder vielleicht seiner mutmaßlichen Religion. Ausgehend von einem Detail aus meinem Leben habe ich mich also mit einer Frage beschäftigt, die wenig mit mir zu tun hat, bis auf die Tatsache, dass mein Heimatland einen Präsidenten gewählt hat, der versucht hat, Leute wie Amar ihrer Reisefreiheit zu berauben – etwas, das auch weiterhin vorkam, nachdem ich das Buch fertig geschrieben hatte.

Amars Geschichte spielt zum Teil im Nahen Osten, an Orten wie Bagdad und Suleimanija nach dem Irakkrieg. Wie hast du dafür recherchiert?
Ich habe eine Menge recherchiert, um Amars Geschichte zu schreiben (obwohl erwähnt werden sollte, dass viel Recherchearbeit auch in den ersten und dritten Teil von Asymmetrie eingeflossen ist). Ich las Bücher über den Irak, ich las Berichte und Memoiren von Kriegskorrespondenten, ich sah Dokumentarfilme und Nachrichtensendungen, und ich interviewte Freunde mit amerikanisch-irakischer Abstammung. Ich studierte Landkarten.
Was uns zurück zum Thema „Autobiographie vs. Fiktion“ bringt: Details, die sich scheinbar sauber einer Kategorie zuordnen lassen, sind oft nicht so eindeutig, und der Versuch, eine überzeugende Geschichte zu erzählen, bedeutet (in meinem Fall) Jahre des Umschreibens, Umkombinierens, Beschwörens und Erfindens. Nach außen scheint Amar mir sehr wenig zu ähneln, aber in vielerlei Hinsicht ist sein Innenleben repräsentativer für mein eigenes als das, was wir über Alice wissen. Und tatsächlich berührt die Frage, ob jemand wie Lisa Halliday oder Alice Dodge glaubhaft aus der Perspektive eines Menschen wie Amar Jaafari schreiben kann, so wichtige aktuelle Themen wie Diversität (wie unterschiedlich sind wir wirklich?) und kulturelle Aneignung.
Es war befreiend, aus Amars Perspektive zu schreiben, vielleicht weil er und ich so wenige von diesen äußerlichen Identifizierungsmerkmalen teilen. Man hat mich dahingehend zitiert, dass Männern mehr Freiheit als Frauen zugestanden wird, aber eigentlich weiß ich nicht, ob das stimmt. Ich frage mich, ob ein Buch, das ein Mann über eine Romanze wie in „Verrücktheit“ geschrieben hätte, genauso viel Aufmerksamkeit auf eine Beziehung gelenkt hätte, die der Autor im echten Leben hatte. Aber ich frage mich das nur interessehalber. Ich tue nicht so, als ob ich weiß oder auch nur selbstbewusst behaupten könnte, was der Fall wäre. Ich neige zu dem Gedanken, dass jeder Autor, um gut zu schreiben – oder überhaupt zu schreiben –, ein gewisses Maß an Selbstunterdrückung oder Selbstzensur überwinden muss. Sich zu viele Gedanken darüber zu machen, wie sehr Menschen, die dich nicht kennen, dein Leben mit Literatur verwechseln, ist wahrscheinlich der beste Weg, diese Lähmung aufrechtzuerhalten.

Bevor du angefangen hast, dich ganz dem Schreiben zu widmen, hast du viele Jahre bei der Literaturagentur Wylie gearbeitet. In welcher Hinsicht hat das deine Arbeit als Schriftstellerin geprägt?
In zu vielen, um sie an dieser Stelle aufzuzählen. Bei Wylie zu arbeiten war ein Vergnügen und ein Privileg, eine aufregende Zeit, die mir sowohl eine unschätzbare Lehre war als auch meine Arbeitsmoral gestärkt hat. Einige meiner engsten Beziehungen sind daraus hervorgegangen, darunter mehrere Freundschaften und meine Ehe mit einem wundervollen Mann, der zufällig auch ein großartiger und inspirierender Leser ist.

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