5 Fragen an ... Lion Christ

5 Fragen an ... Lion Christ

Lieber Lion Christ, Sauhund erzählt die Geschichte von Flori, einem sehr jungen Mann aus der Provinz, der herrlich viel will vom Leben: Spaß, Erfüllung, einen Mann für das ganze Leben, Glamour, Überraschungen. Flori ist wild und zart, selbstverliebt und selbstverletzend, voller Hoffnungen und Gedankenwitz. Wie ist Flori zu Ihnen gekommen?
Flori war schon immer irgendwie bei mir, ist vielleicht ein Stück weit eine schillerndere, naivere, hemmungslosere, furchtlosere Version meiner selbst. In Sauhund aber hat er nun wie nie zuvor das Zentrum meines Schreibens an sich gerissen, alle anderen von der Bühne verdrängt. Mir liegt dieser in der Welt verlorene, irrlichternde junge Mann wirklich sehr am Herzen. Gleichzeitig hätte ich ihn während des Schreibens manchmal auch gern am Krawattl gepackt, ihn geschüttelt und ihm zugerufen: „Jetzt reiß dich halt mal zusammen, Bursch.“

Der Roman erzählt nicht Ihre Geschichte, sondern die einer anderen Generation: Flori haut im Jahr 1983 aus seinem oberbayrischen Dorf nach München ab, mitten hinein in die riesige schwule Szene dieser Jahre. Was ist Ihnen wichtig an dieser Zeit vor 40 Jahren?
Diese Zeit, die 1980er, hat mich vor allem in ihrer Ambivalenz unheimlich fasziniert, was das schwule Leben damals betrifft. Einerseits hatte sich in den großen Städten wie München längst eine vielgestaltige Szene etabliert, es gab zum Beispiel deutlich mehr Orte für Begegnungen – Bars, Kneipen, Saunen – als das etwa heute, in den Hochzeiten der Gentrifizierung, noch der Fall ist. Gleichzeitig lief natürlich alles strikt hinter verschlossenen Türen ab, man hat sich in seine verriegelten Safespaces zurückgezogen und schon auch sehr vorm Rest der Welt versteckt. Die fragile Toleranz kam dann mit dem Aufkommen von Aids heftig ins Wanken. Ich hatte das Gefühl, das ist bis heute ein blinder Fleck in der jüngeren deutschen Geschichte, gesamtgesellschaftlich ebenso wie in Hinblick auf das besonders repressive Bayern. Ich wollte genauer hinschauen und mich mit dieser existentiellen Zeit auseinandersetzen, im besten Fall den Diskurs darüber ein Stück weiter und für noch mehr Menschen öffnen.

Über die vielen Toten des ersten AIDS-Jahrzehnts und die repressive, hemmungslos im Stich lassende Gesundheitspolitik und –meinungsmache gegen männerliebende Männer damals wird nahezu nie gesprochen, sie sind vergessen in den Diskussionen der Gegenwart. Wie kann man als Nachgeborener davon erzählen, ohne im Erinnerungskitsch zu enden?
Zunächst einmal muss man differenzieren. Rita Süssmuth, damalige CDU-Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, hat in ihrer pragmatischen und später durchaus viel gelobten AIDS-Politik vor allem auf Aufklärung gesetzt und an die Mündigkeit der Menschen appelliert, sich und ihre Partner zu schützen, sie hat sich vielfach gegen die Ausgrenzung von Betroffenen und die Einschränkung ihrer Grundrechte ausgesprochen. Sie hatte eben ein ganz anderes christliches Selbstverständnis als viele ihrer Parteikollegen. Außerdem hat sie verstanden, dass man Sexualität nicht einfach staatlich verbieten kann, ohne dadurch enormes Leid zu erzeugen. Der bayerische Sonderweg sah da komplett anders aus, Kondome in Schwulenbars zu verteilen etwa galt nicht als Ermunterung zum verantwortungsvollen Safersex, sondern als Anstiftung zur Unzucht. Razzien zur Einschüchterung waren an der Tagesordnung, Bars und Saunen mussten schließen, schwule Männer zogen schließlich sogar in diesem Klima der Angst aus Bayern weg. Die damalige CSU-Rhetorik der Szene gegenüber erinnert teilweise an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. „Dieser Rand muss dünner gemacht werden, er muss ausgedünnt werden!“, so etwa Bayerns Schulminister Hans Zehetmair über die schwule Szene im Jahr 1987. Erinnerungskitsch beim Schreiben über diese Zeit vermeidet man, glaube ich, indem man keine bloß tapfer vor sich hin leidenden Opfer erzählt, sondern ambivalente, wütende, selbstermächtigte, kompliziert fühlende Figuren, deren Leben am Ende noch so viel mehr war als lediglich die mitleidheischende Auseinandersetzung mit einer neu aufkommenden, beängstigenden Krankheit. Natürlich spielt das Thema für meinen Protagonisten Flori also eine Rolle, für ihn spielen aber genauso tausend andere Dinge unglaublich wichtige Rollen. Wie etwa die große Liebe zu finden, aber dann doch jedes Mal panisch davonzurennen, sobald es ernst wird, exzessiver Rausch und Sucht, Familie und Wahlfamilie, sein fast noch kindlicher christlicher Glaube, sein liebenswerter Größenwahn.

Flori ist oft wirklich ein Sauhund, hemmungslos und übermütig. Auch wenn es um sein Schwulsein geht, empfindet er alles mögliche, aber sicher keine lähmende Scham. So viele Romane der letzten Jahre erzählten, wie Menschen mit ihren Herkünften und Identitäten ringen – warum verhält es sich bei Flori anders?
Ich habe mir das beim Heranwachsen tatsächlich selbst auch nie erlaubt, einfach bloß den negativen Blick der Außenwelt auf mich zu übernehmen und dann still daran zu leiden. Ich hatte immer die tiefe Überzeugung in mir, dass, wenn mich jemand nicht so akzeptieren kann, wie ich bin, es einfach nicht der richtige Ort für mich ist, aber es woanders einen Platz geben wird, der umso schöner sein wird. Was Literatur und das Erzählen queerer Geschichten betrifft, ist es für mich darüber hinaus jetzt schlicht nicht mehr die Zeit, einfach bloß schmerzvoll mit der eigenen Herkunft und Identität zu ringen, sondern da muss bitte schon etwas mehr passieren, zumindest für mich. Klar ist es am Ende auch kein Spaziergang für Flori, es liegen natürlich auch zahlreiche tiefe Verletzungen hinter seiner lautstark vorgetragenen Kompromisslosigkeit verborgen. Aber er kommt irgendwann im Roman trotzdem an einen Punkt, an dem sich verschiedenste Selbstkonzepte für ihn nicht mehr ausschließen, er sich endlich erlaubt, ganz vieles gleichzeitig zu sein, Verletzter, aber auch Tunichtgut, Provinzzögling und neugeborene Großstadtkönigin, Nichtsnutz und Ordnungsfanatiker, Schutzsuchender und Beschützer, zartbesaiteter Romantiker und derber Sauhund. Ein weites, offenes, fragmentarisches, spielerisches, freigiebig mit Kostümierungen und Rollen operierendes Identitätskonzept, genau dahin wollte ich in meinem Roman am Ende kommen, weit weg vom Authentizitätsbegriff.

Der Roman endet 1988, mit dem traurigen Ende eines Lebensabschnitts Floris. Wenn man ihn gut kennt, wird er auch in den Jahren danach noch viel gefeiert und geliebt haben. Was denken Sie, wie würde es ihm heute gehen, mit ungefähr 61 Jahren?
Ich würde dem gealterten Flori vor allem wünschen, dass er gelernt hat, für andere da zu sein und aufrichtig in Verbindung mit den Menschen zu treten. Dass er Leute um sich herumhat, die sich um ihn kümmern und um die er sich kümmert, die Verantwortung füreinander übernehmen, gerne auch fernab eines romantisierten hetero-stereotypen Partnerschaftskonzepts, dem Flori in jungen Jahren aus Mangel an vorgelebten anderen Erzählungen noch so atemlos hinterher hetzte. Und dann wünsche ich Flori noch, dass er sich nichts vom angeblich richtigen In-Würde-Altern erzählen lässt, bloß, weil er mittlerweile ein paar Schönheitseingriffe vornehmen hat lassen, ein kleines Facelift hier, ein paar Unterspritzungen da. Das hat mich schon in der „Diskussion“ um Madonna oft so aufgeregt, diese heuchlerischen Vorschriften der medialen Öffentlichkeit, die natürlich vor allem meist an Frauen- und queere Körper herangetragen werden, wie man bitteschön „richtig“ altern soll. Aber nein, ich mache mir da eigentlich eh keine großen Sorgen: Der 61-jährige Flori weiß das schon sehr gut, glaube ich, dass Künstlichkeit nichts per se Schlechteres als das vorgeblich „Echte“ ist, was wir oft so unkritisch auf allen Gebieten einfordern. Ja, dass Flori auch weiterhin ein Mensch mit seinen noch immer eigenen, subversiven Werten und einem ganz besonderen Blick auf die Welt ist, das wünsche ich ihm von Herzen, falls er es soweit geschafft haben sollte. Hoffentlich!

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