5 Fragen an ... Laura Spinney

5 Fragen an ... Laura Spinney

Liebe Laura Spinney, es gibt bereits verschiedene Bücher über das Schicksalsjahr 1918. Ihr Buch wirft ein völlig überraschendes Licht auf diese Zeit und zeigt wie zentral die Spanische Grippe tatsächlich war. Wie kamen Sie darauf, über die Spanische Grippe zu forschen und die Geschichte des Jahres 1918 neu zu schreiben?
In meiner Arbeit als Journalistin interessierte ich mich schon länger für die Wissenschaft zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Im Jahr 2013 schmolz Eis in den Alpen und legte auf 3.000 Metern Höhe ehemalige Schlachtfelder zwischen Italien und Österreich frei. Bei meinen Recherchen dort fragte ich mich, warum ein anderes Massensterben zur selben Zeit, ausgelöst durch die Spanische Grippe, welches sogar noch mehr Menschenleben gefordert hatte, so gar keine Rolle spielte. Und damit begann das Abenteuer.

In Indien, schreiben Sie, könnte die Spanische Grippe dazu beigetragen haben, Mahatma Gandhis Graswurzelbewegung zu stärken. US-Präsident Woodrow Wilson litt an der Spanischen Grippe als es zu den Verhandlungen von Versailles kam. Was sind für Sie die herausragenden politischen Konsequenzen der Grippe?
Indiens Geschichte ist für mich die faszinierendste, denn sie eröffnet ein völlig unbekanntes Kapitel darüber, wie das Land seine Unabhängigkeit gewann. Damals starben 18 Millionen Menschen an der Grippe, nirgendwo sonst waren es mehr. Das hatte den Effekt, dass die indische Bevölkerung sich mit einem Mal gegen ihre britischen Besatzer wandte, denn es war nun klargeworden, dass der Kolonialmacht nur wenig an der Gesundheit der indischen Bevölkerung lag. Vor der Epidemie war die Unterstützung für Gandhi noch begrenzt, danach standen die Menschen geschlossen hinter ihm. Auch wenn es noch 30 Jahre dauern sollte bis die Unabhängigkeit kam, markierte die Spanische Grippe einen Wendepunkt.

Donald Trumps deutscher Großvater starb an der Grippe und hinterließ seiner Witwe ein kleines Vermögen, das diese in der neuen Heimat Amerika in Immobilien investierte. Nicht alle Hinterbliebenen hatten so viel Glück. Welche Konsequenzen hatte die Grippe für die Hinterbliebenen in Europa?
Die Grippe traf besonders Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren, die in der Mitte des Lebens standen. Dadurch verloren viele Familien ihre Hauptverdiener. Viele Kinder und alte Menschen befanden sich dadurch plötzlich in einer sehr schwierigen Lage. Oft landeten sie im Armenhaus oder auf der Straße. Wir wissen immer noch nicht genug über diese indirekten Opfer der Grippe, aber es gab Millionen davon.

Welche von den vielen faszinierenden Geschichten, die Sie über die Grippekranken von Südafrika bis Alaska erzählen, haben sich Ihnen besonders tief ins Gedächtnis eingegraben?
Zwei Szenen verfolgen mich. Die erste ist die Beschreibung Rios während der Pandemie durch den brasilianischen Schriftsteller Pedro Java: Die verlassenen öffentlichen Plätze, Fußballer, die vor leeren Stadien spielen und bewaffnete Konvois, die für Regierungsmitarbeiter bestimmte Lebensmittel an einem wütenden Mob vorbei transportieren mussten. Das zweite Bild stammt aus Odessa und es ist das einer sogenannten „Schwarzen Hochzeit“, einem archaischen jüdischen Ritual. Die Spanische Grippe sollte durch die Hochzeit eines Paares auf einem Friedhof ausgetrieben werden - in diesem Fall waren es zwei Bettler.

Was sind die wichtigsten Folgen der Spanischen Grippe, von denen wir nichts wissen?
Ich denke kaum jemand weiß, dass die Spanische Grippe dazu beitrug, dass sich die Alternativmedizin und die soziale Gesundheitsvorsorge ausbildeten oder dass sie für ein erneutes Erblühen des Spiritismus verantwortlich war - dem Glauben, dass die Toten mit den Lebenden kommunizieren können. Dies waren nur einige von vielen Reaktionen der Menschen auf die Tatsache, dass die Medizin sie im Stich gelassen hatte.

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