5 Fragen an ... Kenah Cusanit

5 Fragen an ... Kenah Cusanit

Liebe Kenah Cusanit, Sie haben einen Roman über einen deutschen Archäologen und seine biblische Aufgabe geschrieben: die Ausgrabung Babylons 1913, unweit von Bagdad. Wann trat die historische Figur des Robert Koldewey erstmals in Ihr Leben und ab wann wussten Sie, dass Sie einen Roman über ihn schreiben möchten?
Eigentlich hätte ich schon während des Studiums auf Robert Koldewey aufmerksam werden müssen (als ich bereits eine Anzahl Tontafeln aus genau derjenigen Grabung gelesen und übersetzt hatte, die Koldewey unternommen hatte). Aber die Ausgräbergeschichten waren nie ein Thema an der Uni, was vielleicht auch daran lag, dass Koldewey keine Philologen auf der Grabung mochte. Diesen Unmut gegen ihn spürt man zuweilen noch heute in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Tatsächlich fiel mir erst irgendwann bei einem Besuch im Pergamonmuseum auf, dass man zwar viel über die altorientalischen Kulturen erfährt, aber kaum etwas darüber, unter welchen Umständen deren Zeugnisse überhaupt nach Berlin gelangt sind. Als ich die Geschichte dann recherchierte, war schnell klar, dass ich darüber einen Roman schreiben will – irgendwann, wenn ich einmal dazukomme, einen Roman zu schreiben.

Sie entfalten Ihren Roman entlang einer wahren Begebenheit. Robert Koldewey ist im Auftrag des deutschen Kaisers Wilhelm II. in einer Region, in der zahllose Ausgräber aus Europa in einem Wettrennen um fremde Kulturschätze miteinander stehen. Wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert?
Ich war in Bibliotheken und Archiven unterwegs und habe alles gelesen, was es zu lesen gab. Ich habe Tunnel gegraben, habe das Gefundene hinausgetragen und mit dem schon vorhandenen Gefundenen auf ein Niveau gebracht und wieder neue Tunnel gegraben. Ich habe eben irgendwie die Geschichte ausgegraben, wie Koldewey Babylon.

Führt man sich also Ihre Arbeitsweise vor Augen, könnte man annehmen, Sie seien selbst eine Art Geschichtenarchäologin. Auch die Sprache Ihres Romans trägt etwas Suchendes in sich, sie geht gerne Umwege, um zu einem Gedanken vorzudringen und ihn freizulegen. Ist dieses archäologische Prinzip für Sie ein literarisches Verfahren?
Das klingt nach einer bewussten Entscheidung für eine coole literarische Technik. Vermutlich aber ist es einfach so, dass dieses archäologische Vorgehen meiner Denkweise entgegenkommt. Und wenn man sich, wie ich, nie mit gängigen Romantechniken beschäftigt hat, dann tendiert man wohl eher dazu, so zu schreiben, wie man denkt. In meinem Fall: indirekt, umständlich, um die Ecke. Oder: essayistisch. Was schöner klingt. Das Praktische an dieser Herangehensweise ist, dass man ausgiebig zum Beobachten kommt und zusehen (oder zulassen) kann, wie die Logik einer Geschichte sich auf den Text überträgt und diesen selbst arrangiert.

Ihr Roman kann einem den Blick auf die Welt verändern, auf das Christentum, das Judentum, den Islam. Denkt man nach Lektüre von Babel über die Gegenwart nach, sieht man überall die Auswirkungen von Kolonialisierung und kultureller Aneignung. War das auch für Sie im Schreiben eine Erkenntnis?
Es war eher eine Erkenntnis, die zum Schreiben geführt hat – die Auswirkungen der Hegemonieansprüche auf andere Kulturen und deren materielle Aneignung (hätten sich die Imperialisten auch ein wenig fremde Kultur angeeignet, wäre das ja nicht schlecht gewesen). Die Themen, die mich umtreiben (kulturelle Denkmuster, Bedingungen von Wissen und Erkenntnis, Photographie, moderne Mythen ...), haben wohl auch auf erhebliche Weise den Roman nicht nur durchrhythmisiert, sondern dessen Recherche zuallererst für mich attraktiv gemacht. Auf welche Art und Weise hängt das, was mich umtreibt, mit Robert Koldewey und der Babylon-Ausgrabung zusammen? Das hat mich wahrscheinlich am meisten interessiert. – Und: Kann man daraus einen literarischen Erfahrungsraum machen, der auch für andere funktioniert.

Wie Robert Koldewey sind auch Sie in Blankenburg im Harz geboren worden. Nach seiner Rückkehr aus Babylon lebte Koldewey in Berlin, wo auch Sie heute leben. Verfolgt er Sie oder verfolgen Sie ihn?
Vielleicht ist es ein synchronistisches Ereignis, wie Carl Gustav Jung sagen würde, ein Zu(sammen)fall zweier Ereignisse, die kausal nichts miteinander zu tun haben und deren gleichzeitiges Auftreten mir nur auffällt, weil es mir etwas zu sagen hat. Ich habe relativ am Ende meiner Recherche im Nachlass von Robert Koldewey ein Notizheft von ihm entdeckt, aus dem hervorgeht, dass wir nicht nur in Blankenburg geboren sind, sondern auch bald darauf weggezogen, aber immer wieder zurückgekehrt sind, um die Großeltern zu besuchen und um auf der Teufelsmauer (einer mythisch umrankten Felsformation aus der Kreidezeit) herumzuklettern und von den beiden größeren Felsen dort oben, die witzigerweise „Großmutter“ und „Großvater“ heißen, die Stadt zu skizzieren. Im Roman schreibe ich, dass Koldewey in der Stadt Esskastanien gesammelt hat; das ist historisch nicht verbürgt, aber mittlerweile glaube ich fest daran, dass nicht nur ich das getan habe.

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