5 Fragen an ... Katherine Angel

5 Fragen an ... Katherine Angel

Liebe Katherine, in Ihrem Buch gehen Sie auf einige der schmerzhaftesten Aspekte der aktuellen Debatten zu sexualisierter Gewalt ein. Sie zeigen, dass Begehren kein rein privates Thema ist, sondern auch eine politische Komponente hat. Dass Sexualität immer auch mit Macht zu tun hat. Und dass neue Gesetze zum Sexualstrafrecht zwar helfen, aber nicht in der Lage sind, die existenziellen Herausforderungen von Intimität abschließend aufzulösen. Was fehlt in unseren Diskussionen über #metoo, Konsens und sexualisierte Gewalt?
Ein Defizit in unseren Diskussionen besteht darin, dass wir manchmal etwas naiv sind und uns in Wunschdenken ergehen, wenn wir versuchen, Sex besser zu machen. Wir setzen große Hoffnungen in Gesetze, wir setzen Hoffnungen in mechanistische Vorstellungen von Sex und versuchen sexuelles Begehren zu definieren, quasi dingfest zu machen. Und wir setzen auf immer ausgefeiltere Definitionen von Konsens. Aber keines dieser Dinge kann uns die Lösungen bieten, die wir uns wünschen, zum Teil schlicht deshalb, weil sie etwas vereinfachen und einengen, was sich uns notorisch entzieht – die Sexualität selbst. Was wir zuallererst tun müssen, ist, bei der Komplexität anzusetzen, bei der Realität – was schnell deutlich macht, dass es viele Faktoren gibt, die Sex zu einem oft schwierigen, beängstigenden oder auch schmerzhaften Lebensbereich machen, und dass die Lösungen, die wir brauchen, daher ebenso vielfältig sein müssen. Wir müssen versuchen zu verstehen, was es ist, das Sex schlecht macht, und den Horizont, vor dem wir über Sexualität nachdenken, erweitern.

Und dennoch formulieren Sie in Ihrem Buch eine vielversprechende These: Morgen wird Sex wieder gut. Was ist es, das Sex gut macht, und wie kommen wir dahin?
Es ist sehr schwierig (und vielleicht gar nicht wünschenswert!) genau zu definieren, was Sex gut macht, da dies immer das Risiko birgt, bevormundend oder zu allgemein zu sein. Aber meiner Meinung nach gibt es einige Schlüsselfaktoren: die Möglichkeit zu Offenheit und Neugier, zum Erkunden. Und die Möglichkeit, autonom und ohne Druck herauszufinden, was wir mögen. Das muss auch die Möglichkeit einschließen, Nein zu sagen, Dinge abzulehnen, seine Meinung zu ändern und klar zu äußern, dass uns etwas nicht guttut. Auch die Neugier gegenüber dem Begehren und Vergnügen des oder der anderen ist unabdingbar. In der Sexualerziehung und in Konsensfragen wird oft gefordert, dass Männer sich mehr für das Vergnügen von Frauen interessieren sollen – dabei ist das doch das Mindeste, was man erwarten darf! Manchmal laufen diese Diskussionen jedoch dann so ab, dass das Risiko sexualisierter Gewalt und der Druck, den Männer auf Frauen ausüben, das einzige sind, worüber wir sprechen. Es geht dann nur noch darum, dass Frauen in der Lage sein müssen sich gegenüber den Wünschen von Männern zu schützen. Und darum, dass Frauen sich von vornherein im Klaren sein müssen, was sie unabhängig von ihren Partnern wollen. In einer idealen Welt wäre es gerade andersherum: wir wären in der Lage, unser eigenes Begehren mit dem des Partners oder der Partnerin in ein Gleichgewicht zu bringen, gleichermaßen neugierig aufeinander zu sein, und es bestünde keine Notwendigkeit, sich vor dem Drängen oder gar Zwang des anderen zu schützen. Begehren entsteht in der Interaktion und ist untrennbar verbunden mit dem Begehren des Gegenübers. Es sind Machtungleichgewichte zwischen Frauen und Männern, die dazu führen, dass das männliche Begehren das dominante ist.

Hat Ihr Buch Antworten für alle Geschlechter? Und sind die Antworten dieselben?
Der Fokus meines Buchs liegt schon – wenn auch nicht ausschließlich – auf Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Aber weil ich mich dafür interessiere, wie Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit unser Nachdenken über Sexualität und Macht prägen, sind meine Überlegungen weder auf heterosexuellen Sex noch auf Cisgender-Erfahrungen beschränkt. Sicherlich bleibt in diesem Bereich Vieles offen, was andere besser behandeln können als sich. Aber ich denke auch, dass die Geschlechternormen uns alle betreffen, schlicht, weil sie so dominant und weitverbreitet sind. Und die Lösungsansätze, die ich in meinem Buch vorschlage, zielen grundsätzlich sowieso darauf ab, unsere rigiden Vorstellungen von Gendergrenzen zu lockern, damit sexuelles Vergnügen als etwas Umfassenderes gedacht und für alle geöffnet werden kann.

In den letzten Jahren haben viele westlichen Länder ihr Sexualstrafrecht reformiert – Stichwort „Istanbul Konvention“. „Nein heißt nein“, „Ja heißt ja“ und die Betonung von Konsens sind wichtige Änderungen, aber vermutlich nicht genug. Was sind die nächsten Schritte, die wir gehen müssen?
Konsens ist nicht verhandelbar. Die Gesetze müssen so beschaffen sein, dass sie im Falle sexualisierter Gewalt auch wirklich greifen. Und allgemein gesagt ist es wichtig, dass wir die Autonomie des anderen beim Sex respektieren (und es ist ebenso wichtig, dass dies in der Sexualerziehung immer wieder betont wird). Aber Konsens ist ein juristisches Konzept, eines, das uns nicht wirklich dabei hilft zu beschreiben, was Sex schlecht macht. Schlechter Sex ist das Ergebnis von unzähligen sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Faktoren. Warum erwarten wir also, dass ein juristisches Konzept – basierend auf der Idealvorstellung zweier Subjekte mit gleicher Macht, die einen Vertrag schließen – uns in der komplexen sexuellen Kultur, in der wir leben, abschließende Sicherheit bieten kann? Deshalb müssen wir die Probleme, die von Sex ausgehen können – von Sex, der Frauen verwirrt, verletzt, unter Schmerzen, gedemütigt zurücklässt – auch in all diesen unzähligen Bereichen angehen. Und zwar indem wir Gendernormen hinterfragen: Welches sexuelle Begehren schreiben wir üblicherweise Frauen, welches Männern zu, und warum? Aber auch indem wir uns die sozioökonomischen Bedingungen genauer ansehen, die Menschen verletzlich für Ausbeutung machen, also zum Beispiel prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen oder der bestehende Bias in Strafjustiz und Polizei. Und auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir uns noch einmal ganz klar darüber werden, welche Vorannahmen unserer Sexualerziehung und auch unseren wohlmeinenden Debatten über Konsens zugrunde liegen. Wenn wir die Bürde einseitig den Frauen aufladen und von ihnen verlangen, dass sie ihr Begehren eindeutig kennen und es auch artikulieren müssen – was geschieht dann mit Frauen, die das nicht können und sich nicht in der Lage fühlen, selbstbewusst aufzutreten? Heißt das, sie sind nicht geschützt vor sexualisierter Gewalt? Unsere Ethik in Sachen Sexualität muss bei der Erkenntnis ansetzen, dass Begehren etwas Flüchtiges ist, etwas Wechselhaftes, das sich uns entziehen kann. Und sie muss auch berücksichtigen, dass wir in einer Kultur leben, die einerseits klare sexuelle Bekenntnisse von uns fordert, uns zugleich aber abstraft, wenn wir genau das tun, vor allem als Frauen. Es sollte weniger Druck auf der Verantwortung der Frauen lasten, eine klar umrissene Sexualität zu haben und zu kommunizieren.

Ihr Buch nimmt uns mit durch eine ganze Anzahl von Disziplinen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, darunter neben der Philosophie auch die Geschichtswissenschaften, die Psychologie und die Medizin. Warum sind diese vielfältigen Perspektiven wichtig und was können wir von ihnen lernen?
Sie sind wichtig, weil unser Bild von Sexualität in jedem Bereich unserer Kultur verhandelt wird, egal ob wir von der Wissenschaft oder den TV-Shows, die wir uns ansehen, sprechen. Sexualität ist auch ein diskursives Konstrukt, eines, über das wir uns jeden Tag neue Geschichten erzählen. Und diese Geschichten verfangen! Die postfeministische, sex-positive Tonart zum Beispiel vermittelt uns bestimmte Vorstellungen von Konsens. Und Sex-Tipps oder Dating-Ratschläge, die wir konsumieren, sind geprägt durch die Sexualforschung, werden aber in der Populärkultur pervertiert und dann weiterverbreitet. Wir müssen uns also das gesamte Netzwerk und seine Effekte anschauen – das gesamte Gewebe, aus dem unsere Vorstellungen von Begehren, Sexualität und Gender gemacht sind.

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