5 Fragen an ... Jesper Wung-Sung

5 Fragen an ... Jesper Wung-Sung

Jesper Wung-Sung, du beteiligst dich in deiner Heimat Dänemark an sozialen und gesellschaftlichen Debatten und bist ein gefragter Redner zu Themen wie Gewalt, Toleranz oder soziale Ungerechtigkeit. Würdest du sagen, ein Autor hat generell einen bestimmten Auftrag, der über das Geschichtenerzählen hinausgeht?
Ich denke, dass ein Autor nur eine Aufgabe hat: gute Bücher zu schreiben. Denn seine Bücher sind für einen Autor der wichtigste Beitrag, den er leisten kann. Aber darüber hinaus betrachte ich Literatur als Kommunikation. In Romanen diskutiert man die verschiedenen Aspekte von Gesellschaft, Gemeinschaft sowie die menschlichen Lebensbedingungen. Und das auf eine Weise, die sowohl einzigartig als auch voller Fantasie ist. Und all die Interviews, Debatten und Vorträge sind so etwas wie die Erweiterung dieser Diskussion. Die Bücher sind das Zentrum oder das Herz – und davon ausgehend kann man weiterdiskutieren.

Dein neues Buch „Weg mit Knut!“ unterscheidet sich inhaltlich, aber auch sprachlich und stilistisch sehr von deinem ersten in Deutschland veröffentlichten Buch „Opfer – Lasst uns hier raus!“. Hat das einen bestimmten Grund?
Ich schreibe nicht, weil es mir Spaß macht. Ich schreibe aus einem existenziellen Grund. Um mich mit etwas auseinanderzusetzen, das ich nicht verstehe. Zum Beispiel: Warum müssen wir alle sterben – ohne zu wissen wo, wie und wann? Wieso bin ich in diesem Körper eingesperrt? Weshalb gibt es keine Gerechtigkeit? Warum existiert keine richtige Freiheit? Gott oder wer auch immer für diese Spielregeln verantwortlich ist, hat seine Arbeit nicht gut genug gemacht – und deshalb bin ich gezwungen zu schreiben.
Jedes Buch ist zuerst einmal eine Auseinandersetzung mit Gott oder einem anderen Hintermann – und im zweiten Schritt mit dem Leser. Die Fragen, die ich als Autor stelle, sind immer mehr oder weniger die gleichen, aber ich frage immer auf neue Weise.
„Opfer“ und „Weg mit Knut!“ sind vom Stil her sehr unterschiedlich – vom Ton her sind die beiden Bücher völlig gegensätzlich. Aber sie sind dennoch miteinander verwandt: Beide handeln von Einsamkeit, Identität, Krankheit, Isolation, davon, anders zu sein, sich zu verändern und die Welt zu begreifen.

In „Weg mit Knut!“ näherst du dich dem Thema Krankheit auf eine einzigartige, noch nie dagewesene Weise an – indem du den Krebs personifizierst. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Ehe ich ein Buch zu schreiben beginne, gibt es eine Phase, in der ich überlege, auf welche Art ich die Geschichte erzähle und aus welcher Sicht. In der Recherchephase zu „Weg mit Knut!“ habe ich unglaublich viel über das Stockholm-Syndrom gelesen. Das Stockholm-Syndrom ist nach einem Bankraub mit Geiselnahme in Stockholm benannt, bei dem sich die Geiseln mit den Geiselnehmern identifiziert und diese sogar in Schutz genommen haben. Es gibt verschiedene Kriterien, die vorliegen müssen, damit man von einem Stockholm-Syndrom sprechen kann. Dies hier sind die wichtigsten:
1. Es muss eine physische Bedrohung vom Geiselnehmer ausgehen.
2. Der Geiselnehmer muss die Kontrolle über die Geisel haben.
3. Die Geiselnahme muss länger als 24 Stunden andauern.
4. Geisel und Geiselnehmer müssen sich physisch nahe sein.
Und da habe ich begriffen: Der Krebs, um den es in „Weg mit Knut!“ geht, ist wie das Stockholm-Syndrom! Ich verglich also die Kriterien mit dem Krankheitsbild:
1. Ja, Krebs ist immer eine große Bedrohung.
2. Der Krebs hat Macht über den Patienten.
3. An einer Krankheit wie Krebs kann man jahrelang leiden.
4. Nichts kann einem näher sein als etwas, das im eigenen Körper vor sich geht.
Aus diesem Grund wird für William aus dem Feind Krebs eine Art Freund.

Du widmest dich in „Weg mit Knut!“ einem sehr ernsten Thema und es finden sich oft sehr traurige Stellen in dem Buch. Und dennoch gibt es auch immer wieder wahnsinnig witzige und freche Momente. War dieser Balanceakt beim Schreibprozess für dich schwierig?
Während der Arbeit an einem Buch wie „Weg mit Knut!“ entwickelt sich diese Balance wie von selbst. Es geht um Gespür und Intuition. Und darum, das Leben widerzuspiegeln. Im Leben gibt es viel, worüber man weint – aber auch viel, worüber man lacht.

Wen möchtest du mit „Weg mit Knut!“ erreichen?
Ich möchte gern alle erreichen, die Literatur lesen, um sich selbst und die Menschen besser zu verstehen. Für mich – und hier spreche ich als Leser – gibt es weder Zielgruppen noch Genres. Ich unterscheide bloß zwischen guten und schlechten Büchern. Ich kenne im Übrigen kein gutes sogenanntes Kinderbuch, das sich nicht auch für Erwachsene eignet. Knut ist im Roman zwischen 0 und 3000 Jahre alt – das dürfen auch die Leser von „Weg mit Knut!“ gern sein.

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