5 Fragen an ... Helen Macdonald und Sin Blaché

5 Fragen an ... Helen Macdonald und Sin Blaché

Liebe Sin Blaché und Helen Macdonald, mit Adam Rubenstein, einem amerikanischen Geheimdienstoffizier, und Sunil Rao, einem Ex-MI6-Agenten, als Hauptpersonen lebt Prophet von zwei Charakteren mit komplett gegensätzlichen Persönlichkeiten. Was finden die beiden aneinander?
Sie haben eine gemeinsame Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die ihnen bekannt ist, aber den Leser:innen zunächst nicht. Auf persönlicher Ebene steht Rao für eine Freiheit, die Adam nie hatte, und die ihn deshalb ebenso frustriert wie fasziniert. Rao hält Adam zunächst für einen gesichts- und seelenlosen Regierungsbeamten in einem schlechtsitzenden Anzug, doch im Laufe des Buches erkennt er langsam, wer er wirklich ist. Und die unheimliche, überirdische Wirkung von Prophet trägt auch ihren Teil dazu bei, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen.

Die Vorstellung von Nostalgie als potenziell zerstörerische Kraft ist die zentrale Idee von Prophet. Was hat Sie an diesem Thema so gereizt?
Wir haben beiden den Eindruck, dass die Welt, in der wir aktuell leben, von kapitalistischer Nostalgie verzehrt wird. Von dem Drang, unsere Vergangenheit neu zu verpacken, um Geld zu machen – man kann das z.B. in den Filmen und Fernsehserien beobachten, die wir schauen, in den Büchern, die wir lesen, den Gerichten, die wir essen, den Spielen, die wir spielen. Glückliche Erinnerungen an Produkte aus unserer Kindheit werden nicht nur benutzt, um Kontrolle über unsere Geldbörse auszuüben, sondern auch über unsere politischen Einstellungen. Wir wollten auf die Gefahren hinweisen, aber wir wollten nicht, dass es schwerfällig wirkt.
Wir leben in einer Zeit, in der wir uns die Zukunft immer schwerer vorstellen können und Nostalgie uns als einziger Rückzugsort bleibt. Das macht Nostalgie zu einem zutiefst destruktiven, sogar vernichtenden Phänomen. Wir müssen die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft aufrechterhalten, und die Kritik an der Nostalgie, wie wir sie in Prophet üben, ist unser Weckruf.

Während der Covid-19 Pandemie haben Sie gemeinsam an dem Roman gearbeitet. Wie hat sich die diese kollaborative Arbeit von Ihrer vorherigen Schreiberfahrung unterschieden?
Sin: Ehrlich gesagt war es gar nicht so anders. Ich habe schon immer entweder mit Freund: innen in einer Schreibgruppe gearbeitet oder meine Geschichten mit Menschen im Internet ausgetauscht. Es ist die Art zu schreiben, die mir Spaß macht, und obwohl das Schreiben eine einsame Tätigkeit ist, ist das Ziel schlussendlich immer, das zu teilen, was du gemacht hast. Ich finde, so lernt man am meisten und holt das Beste aus einer Story heraus.

Helen: Ich hatte vorher nur Sachbücher, Gedichte und wissenschaftliche Texte geschrieben. Und nur alleine gearbeitet. Ich glaube, ich hätte mir keine Schreibmethode vorstellen können, die mir fremder gewesen wäre, als zusammen an einem langen Sci-Fi-Roman zu arbeiten. Aber es stellte sich heraus: Noch nie hatte ich so viel Spaß an einem Projekt. Mit Sin gemeinsam zu schreiben – das Hin- und Her, die endlose Neugierde auf und Freude an der Entwicklung neuer Ideen – das alles war neu und frisch und eine wunderbare Arbeitsweise. Ich lese schon mein ganzes Leben lang viel Sci-Fi, aber ohne Sin hätte ich mich nie an dieses Genre gewagt.

Viele der zentralen Fragen, die in Prophet angestoßen werden, spielen eine große Rolle in der Welt, in der wir leben: wie wir Objekte mit Bedeutung aufladen oder sie dadurch erschaffen, wie wir konsumieren. Wie war es, diese Themen von einer literarischen Perspektive aus anzugehen?
Es gibt einem ein großes Freiheitsgefühl, diese Fragen in einem Roman aufzugreifen. Wir konnten die Art und Weise, wie Nostalgie in unserem täglichen Leben funktioniert, in der Welt des Romans Wirklichkeit werden lassen. Zum Beispiel den Moment in den sozialen Medien, wenn wir ein Bild von etwas aus unserer Vergangenheit sehen – einen Schokoladenriegel, eine Straßenszene, ein Fahrrad aus unserer Kindheit –, ein Bild, das uns dazu verleitet „like“ zu klicken und auf die tiefen Emotionen zu reagieren, die dieses Bild hervorruft. Wir haben daraus eine buchstäbliche Beschwörung dieser verlorenen Objekte gemacht, mit oft tödlichen Folgen. Die Wahl der Charaktere und ihrer Beziehungen, wie sie sich zur Welt verhalten - das war auch ein zutiefst politischer Akt, der sich gegen die Art von fremdenfeindlichen und populistischen Ideologien richtet, die heute so erschreckend viel Einfluss haben.

Der Roman lässt sich nicht einem einzelnen Genre zuordnen. Er ist gleichzeitig Sci-Fi, Thriller, Liebesgeschichte, Mystery und Horror. Woher kommt Ihr Interesse an Genre-Fiction? Was sind die Filme oder Bücher, die Sie am meisten beeinflusst haben?
Wir beide lieben schon unser ganzes Leben lang Genre-Fiction. Die Werke, die uns beim Schreiben von Prophet beeinflusst haben, waren unglaublich vielfältig: die Arbeit des Künstler-Geographen Trevor Paglen, Online-Foren für Militärs im Internet, so unterschiedliche Autor:innen wie Jeff VanderMeer, Philip K. Dick, Phil Klay, Ursula le Guin, Raymond Chandler und John Le Carré, Videospiele wie Control und Disco Elysium und endlose Sci-Fi-Filme von Tarkowski, Nolan, Alex Garland und vielen anderen.

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