5 Fragen an ... Heike Melzer

5 Fragen an ... Heike Melzer

Liebe Heike Melzer, wie kamen Sie darauf, als ärztliche Psychotherapeutin und Neurologin über das Thema Belohnungsreize zu schreiben?
Ich sehe in meiner Praxis zunehmend die Opfer immer stärker werdender und ubiquitär vorhandener Belohnungsreize. Wenn Belohnungsaufschub und Steuerung nicht mehr gelingen, dann entstehen zwanghafte und abhängige Verhaltensweisen, die unsere Autonomie unterwandern.

Wie werden Konsumenten heute geködert und wo würde man es nicht erwarten?
Heute bahnen sich die Köder ihren Weg ins Zentrum des Gehirns. Dieses kommt mit der Zeit seiner Kontrollfunktion in der Belohnungsaufsicht nicht mehr genügend nach. Zwanghafte und abhängige Verhaltensweisen breiten sich über Jahre hinweg aus. Betroffene schauen erstaunt auf den Beginn ihrer Erkrankung, die einst harmlos begann: beim Posten in sozialen Medien, dem Studium von Flash-Sale-Angeboten, bei der Lust auf Knopfdruck durch Pornographie, dem Griff zur Packung Weingummis, zu Schokolade oder Chips nach dem Essen, dem Eintauchen in Online-Spielewelten oder dem Besuch in einem Casino.

Was sind Wege, um sich vor den Reizen zu schützen?
Wir sollten ein wachsames Auge auf die Strategien moderner „Angler" und ihre „Köder" haben und mit supernormativen Stimuli vorsichtig umgehen. Wissen über den Körper und das Gehirn, die auf Belohnungsmangel programmiert wurden, ist hier unerlässlich. Ziel sollte es sein, langfristig genussfähig und gesund zu bleiben.

Wird das Thema bislang unterschätzt?
Zwanghafte und abhängige Verhaltensweisen breiten sich ebenso wie AD(H)S rasant aus. Das trickreiche an diesen neueren Erkrankungen ist, dass sie auch von Experten noch nicht vollständig verstanden werden. Viele Menschen leiden bereits an Störungen, ohne sie beim Namen nennen zu können. Die Dunkelziffer bei beiden Erkrankungen ist auch schambedingt recht hoch.

Welche Maßnahmen sind nötig, um die Menschen für das Thema zu sensibilisieren?
Ich schaue als Neurologin und Psychotherapeutin seit zwei Jahrzehnten hinter die Kulissen bei Menschen, die mit einem hohen Leidensdruck versehen meine Praxis aufsuchen. Es bedarf weiterer Aufklärung, Forschung und Menschen mit Sendebewusstsein, die ihr Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, um nachhaltig psychisch und physisch gesund zu bleiben. Dies ist auch das Anliegen meines Buches.

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