5 Fragen an ... Gerda Blees

5 Fragen an ... Gerda Blees

Liebe Frau Blees, am Beginn Ihres Romans Wir sind das Licht stirbt eine Frau in einer Wohngruppe, deren Mitglieder der Überzeugung sind, man könne sich von Licht ernähren. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Die Idee zu diesem Buch entstand, als ich in der Zeitung eine Geschichte über eine Wohngemeinschaft wie diese las, in der eine Frau verhungert ist. Ich dachte sofort, dass das ein spannender Stoff für einen Roman wäre, zumal ich mich sehr für extreme menschliche Verhaltensweisen interessiere, wie etwa den Versuch mit dem Essen aufzuhören. Die Dynamik innerhalb der Gruppe und zwischen der Gruppe und der Außenwelt hat mich sehr interessiert. Da ich selbst lange in WGs gewohnt habe, konnte ich mir manche Prozesse, die da abliefen, gut vorstellen. Und ich fand, einen Roman zu schreiben, wäre eine gute Möglichkeit das genauer zu recherchieren.

Die Wohngruppe „Klang und Liebe“ lebt in einer eigenen Welt, die von außen nur schwer nachvollziehbar und kaum erreichbar ist. Wie sehen Sie die politische Dimension Ihres Romans?
Als das Buch in den Niederlanden erschien, befanden wir uns mitten im ersten Covid-Lockdown, und ich hatte Angst, es könnte irgendwie irrelevant geworden sein, weil wir als Gesellschaft eine so große Krise zu bewältigen hatten. Aber mit der Zeit ist mir klargeworden, dass der Roman sehr anschaulich vor Augen führt, wie sich Menschen eine eigene Realität schaffen, ein Problem, das uns während der Covid-Krise sehr beschäftigt. In meinem Buch sind die Ursachen eine Kombination aus sozialer Isolation auf der einen und dem unbegrenzten Zugang zu sehr viel (Des-)Information auf der anderen Seite. Die Geschichte zeigt, wie schwer es ist, Menschen von ihren Überzeugungen abzubringen, selbst wenn für die Außenwelt ganz klar ist, dass sie sich mit dieser Denkweise Schaden zufügen.

Jedes Kapitel Ihres Romans ist aus einer anderen Perspektive erzählt. Wie kommt man auf die Idee, den Tatort oder den Entsafter erzählen zu lassen?
Ich habe zunächst damit begonnen, den Roman aus verschiedenen menschlichen Perspektiven zu schreiben, aber dann habe ich gemerkt, dass mich manche von diesen Sichtweisen nicht besonders interessierten. Es gibt ein Lied, das die Gruppe oft singt, es heißt „Wir sind Licht“. Ich habe mich gefragt, was das Licht selber zu dieser Situation sagen würde, und dann habe ich begonnen, auch anderen Objekten und Konzepten eine Stimme zu geben. Der Tatort, also das Haus, in dem die Gruppe lebte, und der Entsafter sind der Gruppe sehr nahe Objekte, weshalb sie im Besitz sehr vieler Informationen über die Hauptfiguren sind, gleichzeitig nehmen sie eine Art Außenperspektive ein. Unterschiedliche Perspektiven einzunehmen hat mir ermöglicht, die Geschichte aus sehr vielen Blickwinkeln zu betrachten.

Was hat Sie an den Reaktionen auf Ihren Roman am meisten überrascht oder besonders gefreut?
Einen Universitätslektor für Medizin hat das Buch dazu inspiriert, für seine Studierenden einen Literatur-Kurs zu initiieren. Das Buch hätte ihn dazu gebracht, die Hauptfiguren mit mehr Empathie zu betrachten, erzählte er, und er wollte anhand meines Buches zukünftige Ärzte dabei unterstützen, mehr Verständnis für unterschiedliche Gruppen von Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Was lesen Sie bzw. gibt es literarische Vorbilder?
Ich lese sehr gerne Kurzgeschichten von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren. Zuletzt haben mich die Erzählungen in dem Band The redemtion of Galen Pike von Carys Davies sehr beeindruckt, aber ich mochte auch Ruhm (Ein Roman in neun Geschichten) von Daniel Kehlmann sehr und Was wir im Feuer verloren von Mariana Enríquez. Als ich Wir sind das Licht geschrieben habe, griff ich wieder zu Rot ist mein Name von Orhan Pamuk – die Farbe Rot ist dort eine der Erzählstimmen – und dem holländischen Roman Specht und Sohn von Willem Jan Otten, erzählt aus der Sicht der Leinwand des Malers.

Interview/Übersetzung: Bettina Wörgötter

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