5 Fragen an ... Gaea Schoeters

5 Fragen an ... Gaea Schoeters

Liebe Gaea Schoeters, in Ihrem Roman Trophäe geht es um die Großwildjagd in Afrika. Gibt es persönliche Berührungspunkte mit Afrika, mit dem Thema Jagd, oder, anders gefragt, wie sind Sie zu dieser Geschichte gekommen?
Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich einen Roman über Trophäenjagd in Afrika schreiben würde, hätte ich es nicht geglaubt; ich bin eine, die Moskitos vorsichtig fängt und auf den Balkon hinausträgt. Ich hatte keinerlei Verbindung zum Jagen oder zu Trophäen. Beim Scrollen auf Facebook stieß ich auf eine kleine Anzeige für eine Trophäenjagd auf eine seltene Steinbock-Art in Pakistan, in der es auch hieß, dass mit dem Geld für die Jagdlizenz ein Schutzprogramm initiiert werden soll. Eine seltene Spezies jagen, um die Umwelt zu schützen, das klang so paradox und ließ mich stutzen, und so begann ich ein wenig über Trophäenjagd zu recherchieren. Kurz darauf stolperte ich über ein Foto von David Chancellor – ein Bild von einem Großwildjäger (ein Mann, der meinem Steuerberater sehr ähnlich sieht) in seinem Trophäenzimmer voller ausgestopfter Giraffen, Löwen etc. In einer Millisekunde hatte ich die Geschichte vor Augen – ein seltener Glücksfall.
Viele Leser:innen haben mir erzählt, dass sie anfangs keine Lust hatten, einen Roman über das Jagen zu lesen, da sie gegen das Jagen waren. Und ich bin sehr glücklich, wenn ich jetzt oft höre, dass sie, sobald sie in das Buch und in Hunters Welt eingetaucht waren, genau so fasziniert waren wie ich.
Außerdem habe ich ein Faible für unangenehme Charaktere, die anders sind als ich; ich liebe es, die Denkweisen von Menschen zu erforschen, mit denen ich im realen Leben wahrscheinlich schnell in Streit geraten würde. Für mich ist Fiktion der Ort, an dem wir gefahrlos verschiedene Mindsets nebeneinanderstellen und Gemeinsamkeiten suchen können, was der Anfang von Dialog und Verständnis sein kann – und schließlich von Veränderung. (In diesem Fall war die Liebe zur Natur die Gemeinsamkeit mit der Welt des Jagens.)

Hunter White ist ein westlicher, weißer Alpha-Mann und Jäger. Er versteht sich als Förderer des Artenschutzes und der lokalen Bevölkerung, indem er große Geldsummen für seine Abschusslizenzen zahlt, die unter anderem dem Kampf gegen die Wilderei und dem Bau von Schulen dienen sollen. So nachvollziehbar die Argumentation scheint, so deutlich wird die ungleiche Verteilung von Macht und Besitz in Afrika. Was erzählt uns Ihr Roman über den Kolonialismus und seine Folgen bis heute?
Wie Jeans, einer der örtlichen Guides, es an einer Stelle ausdrückt: Hunter ist nie in Afrika gewesen. Der Ort, den er besucht, ist eine koloniale Fata Morgana, eine Phantasie aus dem Blick eines Weißen ohne Bezug zur Realität. Er hat keine Ahnung von diesem Kontinent und kein Interesse daran; er sieht in ihm vor allem einen Themenpark, der zu seinem Vergnügen existiert. Sein Jagdrevier. (Oder wie er selbst sagt: Er mag Afrika nicht, aber da er seine Flora und Fauna schätzt, toleriert er den Kontinent.) Das ist eine grobe Zusammenfassung der allgemeinen utilitaristischen Sicht des Westens auf diesen Kontinent: Auch in post-kolonialen Zeiten geht die Ausbeutung des Kontinents in anderer Art und Weise weiter. (Und nicht nur durch den Westen; ein ganz neues Great Game wird da gespielt.) Unternehmen nehmen sich vom afrikanischen Kontinent die Ressourcen und Schätze, die sie brauchen, zerstören die Natur, das Klima und die Gesellschaft und weigern sich, Verantwortung für die Auswirkungen der fortwährenden Ausbeutung zu übernehmen

„Deine westliche Moral ist ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. Der Rest der Welt muss mit Pragmatismus auskommen." – Das sagt Jeans einmal zu Hunter. Wollten Sie mit dem Buch auch Kritik an europäischen Moralvorstellungen üben, die gegenüber globalen Problemen oft blind sind?
Ja, das ist für mich die wichtigste Frage des Buches. Hunter, wie die meisten Menschen aus dem Westen, betrachtet sich selbst als der lokalen Bevölkerung moralisch überlegen, aber er übersieht, dass seine moralischen Vorstellungen in einer vollkommen anderen Welt womöglich gar nicht funktionieren würden. Der Westen tendiert dazu, seine moralischen Konzepte dem Rest der Welt überstülpen zu wollen, ohne die lokalen Voraussetzungen miteinzubeziehen. Ist unser System das einzig mögliche System? Und ist es wirklich so überlegen? Funktioniert es überall, in jedem Kontext? (Und wie unbeeinflusst ist dieser Kontext? Jeans ist ein Pragmatiker, weil er in einer von den Folgen des Kolonialismus zerstörten Welt keine andere Wahl hat. Und wie frei sind die Mitglieder des lokalen Stammes in ihren Entscheidungen, nachdem auch die Bedingungen ihres Daseins von diesen Folgen verändert und bestimmt worden sind?) Oder könnte es sein, dass in bestimmten Kontexten andere moralische Vorstellungen und ethische Regeln ebenso nützlich sein oder sogar besser funktionieren könnten als die westlichen? Es ist dieser Clash der Denkschulen und ihrer Konsequenzen, dem ich auf den Grund gehen wollte.

Im Lauf der Geschichte verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, Jäger und Beute, Mensch und Tier immer mehr. Als Leser:in befindet man sich in einem schmerzhaften Dilemma. Welche Verantwortung trägt der Mensch in der Natur, oder sind wir am Ende doch bloß Tiere?
Wie die (Öko-)Philosophin Val Plumwood schreibt: Die Probleme haben begonnen, als die Menschen aufhörten, sich selbst als Teil der Nahrungskette zu begreifen, und sich über die Natur stellten, anstatt sich als Teil von ihr zu sehen, als Jäger und Beute. (Plumwood hat, wie Hunter auch, einen deutlichen Weckruf bekommen, als sie fast von einem Krokodil gefressen worden wäre.) So unterscheidet sich Hunters Sicht auf die Jagd (auch wenn er, wie viele Jäger, der Natur näher und stärker mit ihr und seiner Nahrung verbunden ist als die meisten modernen Menschen) deutlich von der Perspektive der lokalen Jäger, die sich selbst als Teil des Ökosystems verstehen und nicht als eine diesem überlegene Art. Die Grenzen verschwimmen, als Hunters Gefühl der Macht und Überlegenheit zu bröckeln beginnt, als er mit der Brutalität der Wildnis konfrontiert ist und feststellt, dass sein Überleben von Koexistenz und Respekt abhängig ist anstelle von Dominanz, als ihn seine Waffe nicht mehr vor dieser Kraft schützen kann. Dieser Perspektivwechsel hat moralische und praktische Konsequenzen, gute und schlechte – wenn diese Konzepte in diesem Kontext überhaupt noch einen Sinn ergeben.

Ihr Roman ist von Anfang an unglaublich spannend erzählt, man folgt den Jagdszenen mit angehaltenem Atem, trotzdem ist das Buch viel mehr als ein Thriller. Welche Vorbilder haben Sie in der Literatur, welche Einflüsse gab es beim Schreiben?
Ich beginne keinen Roman ohne eine klare Vorstellung von Thema und Form; für mich sind diese Dinge verflochten und das eine kann nicht ohne das andere funktionieren. Manchmal braucht es Jahre, um eine Form für eine Idee zu finden, oder eine Idee, die in eine bestimmte Form passt. Dieses Mal hatte ich Glück: Während meiner Recherchen fand ich heraus, dass es ein (rein angelsächsisches) Genre gibt, das colonial hunting literature heißt. Sehr männlich und machistisch, Abenteuergeschichten, schnell und handlungsorientiert, aber auch (trotz des Vokabulars, das wir heute inakzeptabel finden) sehr oft reich an anthropologischen Beobachtungen und mit einem tiefen Respekt für das Wissen der lokalen Bevölkerung, mit der diese Berufsjäger zusammengearbeitet haben. Denken Sie an Autoren wie J.A. Hunter oder, am literarischen Ende des Spektrums, Ernest Hemingway. Ich finde, bestimmte alte Formen oder Genres aufzunehmen gehört zum Dialog, den zeitgenössische Autor:innen mit dem Kanon führen, es ermöglicht uns, das Gespräch mit der Literatur und den literarischen Traditionen der Vergangenheit fortzuführen. Ein koloniales Genre für einen Roman heranzuziehen, der in Wirklichkeit eine Kritik an dieser kolonialen Vergangenheit ist, das war die Art von Ironie, die perfekt zu meiner Geschichte passte – da Hunter seinem Schicksal mit genau dieser altmodischen Sicht auf den afrikanischen Kontinent entgegengeht. Außerdem wollte ich eine Verbindung zu Joseph Conrads „Herz der Finsternis" herstellen – aber anstatt den Sturz eines in den Wahnsinn getriebenen weißen Mannes wollte ich den Kollaps der vermeintlichen moralischen Überlegenheit des Westens in diesem Clash of Cultures zeigen.

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