5 Fragen an ... Daniel Glattauer

5 Fragen an ... Daniel Glattauer

Lieber Daniel Glattauer, neun Jahre mussten Ihre Fans auf einen neuen Roman warten. Warum so lange?
Ich war mit meinem Kopf immer woanders, habe einiges ausprobiert, Theaterstücke geschrieben, zwischendurch privatisiert und mir kreative Pausen gegönnt. Dann kam Corona, da hatte ich Lust auf gar nichts. Aber über Nacht ist mir plötzlich eine Idee eingeschossen, die mich nachhaltig aufgewühlt hat. Ich hab mich hingesetzt, ein paar Zeilen geschrieben und gewusst, dass das mein neuer Roman wird.

Was war das für eine Idee, die einem über Nacht derartig einschießt? Wie kamen Sie auf den Plot von Die spürst du nicht?
Es stand uns gerade ein Urlaub in einem Landhaus in der Toskana bevor. Drei befreundete Familien mit Kindern. Auch unser afghanisches Paten-Mädel war mit dabei. Wenn man sich eine lang ersehnte Reise gedanklich ausmalt, mischen sich in die Vorfreude und in die schwärmerischen Vorstellungen immer auch blitzartige Schreckensvisionen. Dinge, die um Gottes oder Allah willen nicht passieren dürfen. So ein Ding ist mir eingeschossen, und genau so ein Ding passiert in meinem neuen Roman.

Die spürst du nicht ist abwechslungsreich und vielschichtig erzählt. Man könnte sagen – Glattauer zieht alle Register seiner Schreibkunst. Wie erging es Ihnen beim Schreiben?
Die Anfangsszenen habe ich wie mit einer Filmkamera einzufangen versucht. Dann haben meine Protagonisten ihr Eigenleben entwickelt. Besonders liebe ich es, in Dialogform zu schreiben. Manche Passagen haben mich an die Arbeit an Gut gegen Nordwind erinnert, andere mehr an meine Theaterstücke und Kolumnen. Dazwischen war ich wie in meiner frühen Journalisten-Zeit Verfasser aktueller Kurzmeldungen. Und gegen Ende des Buches habe ich mich plötzlich als Reporter im Gerichtssaal wiedergefunden, der ich ja tatsächlich zwanzig Jahre mit Leidenschaft war. Kurzum: Das Schreiben war für mich eine fast einjährige stilistische Abenteuerreise mit vielen Déjà-vu-Erlebnissen.

Eine der Stärken des Romans sind die großartig gezeichneten Charaktere. Gibt es reale Vorbilder für die bekannte Politikerin, den selbstherrlichen Anwalt oder die vierzehnjährige Sophie Luise, eine tragende Figur, in die Sie sich erstaunlich gut hineinversetzen können?
Bei meinen Romanfiguren geht es mir immer gleich: Ich lerne sie erst beim Schreiben kennen und sie erinnern mich ständig an irgendwelche Menschen aus meinem Leben. Die Politikerin ist eine dieser starken, aber hochsensiblen Frauen, die die Last von zwanzig Rucksäcken des Alltags mit sich herumtragen, auch jene ihrer Kinder und Männer. Zum Rechtsanwalt fallen mir gleich ein halbes Dutzend namhafter heimischer Advokaten ein, rhetorisch brillant, moralisch durchwachsen. Und bei der vierzehnjährigen Sophie Luise kommt in mir der Pädagoge durch, der wissen will, was in einer pubertierenden Schweigerin gerade vorgeht. Viele unserer Freunde haben Kinder in diesem Alter, da konnte ich aus dem Vollen schöpfen.

Ihr neuer Roman hat klare Botschaften. Das gesellschaftspolitische Anliegen ist deutlich ausgeprägter als in Ihren früheren Romanen. Leben wir in Zeiten, die klare Botschaften von Autorinnen und Autoren fordern?
Jede Zeit fordert klare Botschaften von Autorinnen und Autoren, und in jeder Zeit gab es auch welche. Ich habe mich beim Schreiben nie zu etwas anderem verpflichtet gefühlt, als mein Leserpublikum, von dem ich eine hohe Meinung habe, nicht zu langweilen. Ich kann dabei nur über Geschehnisse schreiben, die mich selbst gerade bewegen. Diesmal geht es dabei ans Eingemachte, da geht es um den Wert von Menschen, auch jener Menschen, die uns fremd sind und keine Stimme haben. Um Menschen, von denen wir nichts wissen wollen, weil wir sie nicht spüren.

Interview: Bettina Wörgötter

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