5 Fragen an ... Cătălin Mihuleac

5 Fragen an ... Cătălin Mihuleac

Iasi war vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit das Zentrum der rumänischen Kultur. Mit einem großen Theater, erreichtet von den berühmten Wiener Baumeistern Fellner und Helmer, mit Galerien, Kinos, kurz mit dem, wie die Zeit in einem Teil Ihres Romans Oxenberg & Bernstein dargestellt wird. Heute ist diese mehr als dreihunderttausend Einwohner zählende Universitätsstadt im Nordosten Rumäniens in Westeuropa fast unbekannt. Warum ist das so?
Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel über die Stadt die Guillotine von fünfzig Jahren Kommunismus. Danach, nach der Revolution gegen Ceausescu, waren diejenigen, die die Stadt führten, gar nicht an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung interessiert, sondern nur am eigenen Wohlstand. Künstler – vor allem Schriftsteller – wurden zu einer Art Versuchskaninchen der Politiker. Es gab praktisch keinen Staatspräsidenten oder Bürgermeister ohne ein Gefolge von Künstlern, manche dieser Versuchskaninchen wurden sogar berühmt.
Einzelne Stimmen, die sich gegen diese Dysfunktionen der Gesellschaft erhoben, wurden gleich mit sieben Pflastern versiegelt und zum Schweigen gebracht. Ich persönlich zahlte einen hohen Preis für die Redefreiheit. Nach einigen Anrufen „von oben“ wurde ich wegen der ungeheuerlichen Straftat gefeuert, einige Stadträte und Bürgermeister kritisiert zu haben; jegliche materielle Unterstützung für meine Recherchen wurden mir versagt… Trotzdem halte ich weiter daran fest, dass Schriftsteller Stellung beziehen und Haltung bewahren müssen. Und von dem erzählen sollen, was war und was ist.

Jenen, die die Stadt ein Begriff ist, verbinden sie oft mit dem Pogrom im Sommer 1941. In Ihrem Roman spielt es eine zentrale Rolle. Wie gehen die kommunalen Verantwortlichen mit dieser Tatsache um?
Von offizieller Seite wurde das Pogrom von 1941 zuerst verschwiegen und dann übersehen. Dass so etwas überhaupt möglich ist, ist schier unglaublich. Aber mein Land legt weder Wert auf Intelligenz, noch auf Kreativität, noch auf wirtschaftliche Entwicklung. Das entrüstet mich noch immer. Mehr als vier Millionen Rumänen haben es vorgezogen zu emigrieren, und das nicht in erster Linie aus ökonomischen Gründen, sondern wegen eines Systems, das den Hausverstand wie eine Tankarmada überrollt. Und fast täglich sieht man protestierende Menschenmengen in den Straßen, aber es scheint ohne Folgen.

Das Polizeihauptquartier, Ausgangsort und Zentrum des Pogroms, steht gleichsam als Menetekel beinahe unverändert in der Mitte der Stadt. Was soll daraus werden? Soll etwas daraus werden?
Im vergangenen Sommer wurde im Rahmen des Filmfestivals ein Vortrag von mir geplant, der in der Polizeiquästur gehalten werden sollte, genau in dem Gebäude, von wo man mit Maschinengewähren auf Juden geschossen hat. In letzter Sekunde hat der Präsident des Landrates die Genehmigung für die Veranstaltung zurückgezogen mit der Begründung, dass „der Holocaust ein zu heikles Thema“ sei.
Die Wiederherstellung der Stadt muss mit der Anerkennung der jüdischen Vergangenheit beginnen, als Iasi eine ungeheuer starke wirtschaftliche und kulturelle Aktivität aufwies, die ihren Ursprung in der jüdischen Bevölkerung hatte. Aber wer soll das verstehen, wenn beispielsweise die Gedenktafeln an den Mauern der Polizeiquästur nur auf Rumänisch geschrieben sind; sie sollen den Besuchern der Stadt unverständlich bleiben, anders ist das nicht zu erklären.

In Ihrem Roman wird eine junge Frau von heute mit der Geschichte ihrer Heimatstadt konfrontiert. Mit wachen Augen und offenem Herzen stellt sie sich der Vergangenheit. Wieviel hat Suzy, wie sie von ihrer US-amerikanischen Schwiegermutter genannt wird, mit dem Erzähler Catalin Mihuleac zu tun?
Suzy ist in Onesti, einer kleinen Industriestadt, geboren, geht später nach Iasi und emigriert von dort aus in die USA. Sie ist das weibliche Modell, das ich angestrebt habe. Durch das Schreiben ihrer Geschichte wurde ich in gewisser Weise zu ihrem Anhang, wobei mich ihre Überlegenheit nicht störte. Ich werde oft gefragt, ob es Suzy wirklich gibt. Ich denke, sie ist tausendmal realer als die vielen Frauen, die wir in der Straßenbahn oder im Kaffeehaus treffen.
Ich durfte – etwas eifersüchtig, ich gestehen es – die Leidenschaft wahrnehmen, die sie unter der Leserschaft entfacht. Vielleicht kommt ja noch der Tag, an dem sich berühmte Schauspielerinnen um die Rolle der Suzy in der Verfilmung des Buches streiten werden.

Wie wurde Ihr Roman in Rumänien aufgenommen?
Gäbe es Vereine gegen die Misshandlung von Büchern, dann hätten sie im Falle dieses Romans aktiv werden müssen. Offiziell wurde er kühl, nein, sogar feindlich aufgenommen. Ausgenommen von wenigen beherzten Kritikern schwiegen die meisten oder wurden dazu gebracht zu schweigen. Es gab auch Buchhändler, die – auf Befehl ihrer Chefs oder aus eigener Initiative – es abgelehnt haben, den Roman zu verkaufen und ihn schnell zurück an den Verlag schickten.
In gewisser Weise trotzt der Roman dem rumänischen System, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Sein Erfolg bei den Leserinnen und Lesern ist den sozialen Netzwerken zu verdanken, dort wurde er aus vollem Herzen immer weiter- und weiter- und weiterempfohlen. Anfang Dezember 2017 wurde er in der Bestsellerkollektion des Verlags Polirom wieder neu herausgebracht, mehr als drei Jahre nach seinem ersten Erscheinen. Was fast ein Wunder ist.
Aber ich glaube an Wunder.

© Herbert Ohrlinger, Zsolnay Verlag

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