Wie habt Ihr zusammen gefunden?
Florian Zinnecker: Bei einem Interview fürs SZ-Magazin. Damals hat Igor keine einzige der Fragen, die ich gestellt habe, beantwortet. Die haben ihn nicht interessiert, er wollte lieber über andere Dinge reden – ein Glück für meinen Text. Und dann war ich in dem Konzert in Hamburg, das im Buch der Anfang der Reise ist: Elbphilharmonie, 18. September 2019, der Auftakt des Beethoven-Zyklus‘ mit der Waldstein-Sonate. Ich bin völlig sprachlos rausgegangen und dachte: Was war das denn? Wie kann man das so spielen? Noch nie hatte ich dieses Stück derart dreidimensional und vielfarbig gehört. Zum ersten Mal war der Gedanke da: Eigentlich müsste man, eigentlich sollte man.
Igor Levit: Ich kann gar nicht zählen, wie oft Leute zu mir kamen und sagten: „Mach doch ein Buch, mach ein Buch“. Alle haben sich so wahnsinnig große, hochtrabende Gedanken gemacht. Als dann Florian zu mir sagte: Du, ich habe einfach so viele Fragen, und eigentlich möchte ich das aufschreiben, war das ein Tonfall, der mir sehr entspricht: Leicht und klar und schnell. No bullshit.
War die Rollenverteilung klar? Wer trägt was bei und in welcher Form?
Florian Zinnecker: Natürlich war ich derjenige, der mehr Fragen gestellt hat. Dennoch ist die Art des Erzählens zusammen entstanden, im engen Austausch, im Probieren und Verwerfen. Am Ende war der Text dann auf meinem Computer.
Igor Levit: Anfangs haben wir ein paar Telefonate geführt und uns einige Male getroffen, Florian hat ein bisschen was gefragt. Es war alles in Ordnung, es waren gute Gespräche. Und dann kam die Pandemie. Im Grunde waren wir ja alle nah an einem Zusammenbruch in dieser Ausnahmesituation. Wir haben zum Teil täglich gesprochen. Und jeder Tag war anders. Die allermeisten Gespräche fanden tatsächlich in den Wochen der Hauskonzerte statt. In dieser Zeit saß ich alleine zu Hause. Ich habe mich vor Florian, wie vor vielen anderen Menschen auch, komplett durchsichtig gemacht. Es gab keine Zwischenwände, ich hab einfach alles zugelassen. Auch deswegen habe ich auf dem Titel “Hauskonzert” beharrt: Weil das nicht nur das Musikmachen zu Hause war, sondern der Akt der Türöffnung in mein inneres Wohnzimmer. Das, glaube ich, war der Schlüssel bei diesen Gesprächen: Ich vertraue darauf, dass mein Gegenüber behutsam mit dem umgeht, was ich ihm anvertraue.
Welche Rolle spielt dabei die Lebensgeschichte Igor Levits?
Florian Zinnecker: Ohne sie zu kennen, würde man viele Dinge nicht verstehen. So wie Du auf ein Konzert schaust, Igor, warum Du manche Stücke nicht spielst oder nicht mehr spielst. Wie Du arbeitest, wer Dich geprägt hat, wie Du Dich politisiert hast, warum Du twitterst: Nur aus der Gegenwart heraus lässt sich das nicht erklären. Igor hat sehr früh gesagt: Pass auf, ich erinnere mich an vieles gar nicht. Daher hat das Buch gar nicht den Anspruch, eine vollständige Biographie zu sein. Es sind eher Einzelaufnahmen.
Igor Levit: Wenn es eine übergreifende Erzählung in dem Buch gibt, ist es die eines Emanzipationsprozesses, den ich durchlaufe. Meine Biographie, die Kindheit, die Jugend: All das sind Schritte zur Emanzipation. So sehe ich dieses Jahr 2020 neben all dem Furchtbaren als das befreiendste Jahr meines bisherigen Lebens. Ich habe mich hier zu Hause einfach freigespielt, und das ist auch geblieben!
Zurück zum Hauskonzert: Warum ist genau das die Situation, in der sich Igors Emanzipation so gut manifestieren kann?
Igor Levit: Ich will das kurz machen, weil mir alles andere unangenehm ist: Ich habe diese Zeit gebraucht, um zu spüren, dass das alles wirklich aus mir selbst kommt. Das meine ich sehr, sehr ernst: Ich selbst reiche aus. Als Kind und Jugendlicher hatte ich da ganz andere Gedanken. Und insofern verbinde ich mit diesen Hauskonzerten wirklich ein inneres Ankommen.
Florian Zinnecker: Das Interessante daran ist ja auch: Ein Künstler hat hier den direkten Weg zu seinem Publikum genommen. Pathetisch gesprochen: In einem Moment, da aufgrund äußerer Umstände der Betrieb und alles, was damit zusammenhängt ausgeschaltet ist, findet die Kunst dennoch einen Weg. Es ist, trotz allem, Kommunikation möglich zwischen dem Künstler und seinen Zuhörern.
Das Interview führte Anselm Cybinski.
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