Autorenschreibtisch: Anton Badinger

Autorenschreibtisch: Anton Badinger

Ich verfolge eine rigorose clean desk policy

Lange habe ich gedacht, dass man nur in der Ferne schreiben kann. Ich habe mit anderen Autoren darüber gesprochen und weiß, dass diese Überzeugung ziemlich verbreitet ist. Es geht wohl um die Sehnsucht, schreibend in eine Welt einzutreten, die so rein ist wie ein weißes Blatt Papier. Daraus folgt allerdings ein Dilemma, das ich die “Aporie der Ferne” nennen möchte: Ist man erst dort, wird die Ferne zur Nähe, und prompt stellen sich typische Näheprobleme ein – nachbarschaftlicher Lärm, quietschende Fensterflügel, Kofferradios.

Nach einem nervtötenden Schreiburlaub in einem Dreisternehotel an der oberen Adria kam mir der Gedanke, dass meine Sehnsucht nach der Ferne vielleicht bloß eine Ausrede ist. Eine raffinierte Form von Faulheit. Danach bin ich dazu übergegangen, mir bloß vorzustellen, ich sei beim Schreiben woanders. Wenn man Figuren und Geschichten erfindet, sollte man auch in der Lage sein, sich die Ferne einfach auszudenken. Seither schreibe ich meine Texte dort, wo ich meine Mahlzeiten einnehme, die Buchhaltung mache und auch sonst fast alles erledige, was so anfällt – an meinem Allzwecktisch. Um meiner Einbildungskraft auf die Sprünge zu helfen, verfolge ich eine rigorose clean desk policy (CDP), das heißt, ich räume den Tisch zu Inspirationszwecken zwischendurch immer wieder komplett leer. Tabula rasa! Das hat auch den Vorteil, dass ich von meinen Mitmenschen inzwischen für äußerst ordentlich gehalten werde. Es muss ja niemand in die Schubladen schauen.

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