5 Fragen an ... Vladimir Vertlib

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Gibt es für Ihre Figur Lucia Binar ein reales Vorbild?
Ich bin Lucia Binar oftmals begegnet: Das eine Mal war sie eine Verwandte, ein anderes Mal eine Nachbarin oder eine Freundin, eine flüchtige Bekanntschaft im Zug, eine alte Frau, deren Bewegungen und deren Gesichtsausdruck ich am Nachbartisch im Kaffeehaus oder auf einer Parkbank beobachten konnte; manchmal (und immer öfter, wie mir scheint) entdecke ich sie auch in mir selbst.

Wie ist Ihre persönliche Beziehung zur Leopoldstadt, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk, in dem auch Ihr Roman zu großen Teilen spielt?
Ich habe einige Jahre meiner Kindheit und Jugend in der Leopoldstadt und im Nachbarbezirk Brigittenau verbracht. Damals habe ich mich als so genanntes Gastarbeiterkind in Österreich noch sehr fremd gefühlt, und wenn ich einmal vergaß, dass ich ein Fremder war, wurde ich rasch daran erinnert. Heute jedoch ist „die Insel“, also die beiden durch die Donau und den Donaukanal begrenzten Wiener Bezirke Leopoldstadt und Brigittenau, jener Teil Österreichs, in dem ich mich wohl am ehesten zu Hause fühle. Ich habe mich bemüht, die einzigartige, gleichsam irritierende wie inspirierende Atmosphäre des zweiten Bezirks in meinem Roman einzufangen.

"Lucia Binar und die russische Seele" ist ein sehr realistischer und durchaus auch gesellschaftskritischer Roman, der jedoch auch wunderbare fantastische Züge hat – wie ist Ihre Idee dazu entstanden, hatten Sie literarische Vorbilder?
Nach mehreren Romanen, in denen es um Migration ging, wollte ich ein Buch über einen alten Menschen schreiben, der sein Leben lang nicht nur am selben Ort, sondern in derselben Straße und sogar in derselben Wohnung gelebt hat. „Die Welt kam zu uns, auch wenn sie einige Male zerstört und wiederaufgebaut wurde, ihre Konsistenz, ihre Farbe und ihre Aura wechselte, ergoss sie sich dabei jedoch stets in dieselbe Form wie eine Flüssigkeit in einen Krug“, sagt Lucia Binar. Das war der Ausgangspunkt des Romans. Dann ließ ich mich von Lucia Binar und den anderen Figuren leiten …
Ich spreche ungern über literarische Vorbilder. Wenn man Vorbilder hat, übersieht man manchmal den eigenen Weg; außerdem kommt man an Vorbilder schwer heran. Es gibt aber viele Autorinnen und Autoren, die ich bewundere oder die meinen literarischen Geschmack geprägt haben. Einer davon ist Michail Bulgakow. „Lucia Binar und die russische Seele“ ist unter anderem eine Hommage an diesen großen russischen Autor und sein Meisterwerk „Der Meister und Margarita“, denn der Magier Viktor Viktorowitsch Vint in meinem Roman hat gewisse Ähnlichkeiten mit Voland, dem Teufel in „Der Meister und Margarita“. Es sind natürlich trotzdem nicht dieselben Figuren. Oder vielleicht doch?

Ihre Frau ist Bibliothekarin. Reden Sie zu Hause viel über Literatur, sprechen Sie mit ihr über Ihre Texte?
Meine Frau ist immer die erste Leserin meiner Texte. Ihre Kommentare, ihr Zuspruch, aber auch ihre kritischen Bemerkungen sind mir eine große Hilfe. Ja, wir reden zu Hause viel über Literatur und dabei nicht nur über meine eigene. Dass wir nicht immer derselben Meinung sind, macht die Gespräche umso spannender.

Was bedeutet es für Sie, für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert zu sein?
Eine große Bestätigung für mein Schreiben, die mir auch viel Kraft für die Zukunft gibt.

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