5 Fragen an ... Thomas Rietzschel

5 Fragen an ... Thomas Rietzschel

Ihrem neuen Buch, Die Handschrift des Legionärs Franz Eckstein, liegt ein älteres zugrunde: das Tagebuch eines jungen Mannes, der 1867 für fünf Jahre zur Fremdenlegion nach Afrika ging. Wie hat man sich dieses Dokument vorzustellen?
Äußerlich betrachtet handelt es sich um ein Notizbuch, wie es damals für alle möglichen Aufzeichnungen verwendet wurde. Nichts Besonderes, kein Ledereinband, nur zwei Pappdeckel, von einem Rücken aus schwarzem Leinen zusammengehalten. Die Seiten sind mit der Zeit vergilbt, doch so gut erhalten, dass man noch jeden Buchstaben erkennt. Es gibt keine Zeile, die nicht schnurgerade verläuft: die ebenso akkurat wie kunstvoll ausgeführte Handschrift eines Mannes, der mit der spitzen Stahlfeder umzugehen wusste. Auch der Stil verrät eine sprachliche Gewandtheit, die nicht so recht zu dem Bild passen will, das wir uns gemeinhin von den Söldnern der Fremdenlegion machen. Darauf kam ich aber erst, nachdem ich gelernt hatte, die Handschrift des 19. Jahrhunderts, die Fraktur, zu lesen.

Wie sind die Aufzeichnungen in Ihre Hände gekommen?
Ich fand sie eines Tages, im Alter von 14 oder 15 Jahren, auf dem Schreibtisch meines Vaters, sah ihn gelegentlich darin lesen. Er wiederum hatte sie von einer Freundin meiner Eltern bekommen, die selbst kinderlos war. Ob er sie darum bat, weiß ich nicht. Heute bin ich mir allerdings sicher, dass sich die alte Dame wünschte, die Erinnerungen ihres Schwiegervaters mögen weiter aufbewahrt werden, so wie es mein Vater gehofft haben mag, als er mir die Handschrift anvertraute, viele Jahre später.

Was hat Sie dann bewegt, daraus eine Art dokumentarischen Roman zu machen?
Neugierig auf den Inhalt war ich von Anfang an. Schon die fremde Schrift ließ Geheimnisvolles erwarten. Für den Bericht abenteuerlicher Erlebnisse sprach der Titel Fünf Jahre bei der Fremdenlegion in Algier. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Mehr noch, beim Lesen merkte ich schnell, wie sich im Schicksal des unbekannten, längst vergessenen Mannes Zeit und Gesellschaft spiegelten, lebendiger als in den Abhandlungen der Historiker. Immer öfter fühlte ich mich an Namen, Orte und Geschehnisse erinnert, die mir aus der eigenen Familiengeschichte vertraut waren. Bei der weiterführenden Recherche stellte sich außerdem heraus, dass dieser Franz Eckstein nach seiner Rückkehr aus Afrika mit meinen Vorfahren in Verbindung gestanden haben musste.

Gibt es Ihrer Meinung nach in gesellschaftspolitischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht Analogien zwischen den 1910er- und den 2010er-Jahren?
Analogien mag es insofern geben, als wir heute wieder auf einem Pulverfass sitzen, in jeder angesprochenen Hinsicht. Ob es wirklich wie damals explodiert, müssen wir wohl oder übel abwarten. Auch 1910 hätte das niemand vorhersagen können. Als Erzähler kann ich immer nur von dem berichten, was war oder ist, nie von dem, was kommen wird.

Ihre vorhergehenden Bücher, Die Stunde der Dilettanten (2012) und Geplünderte Demokratie (2014), gehörten eindeutig zum Genre des aktuellen Sachbuchs. Mit der Handschrift des Legionärs haben Sie einen Schritt in Richtung dessen unternommen, was die Amerikaner Doku-Fiction nennen und immer mit Truman Capotes Kaltblütig assoziiert wird.
Dieses Vorbilds bin ich mir beim Schreiben nicht bewusst gewesen. Aber letztlich ist ja jedes romanhaft angelegte Buch, sofern es sich nicht um Science-Fiction handelt, dokumentarisch unterlegt. Gleich, ob nun historische Exkurse eingeflochten sind oder ob sich das dokumentarisch belegbare Geschehen gänzlich in der erfundenen Handlung auflöst. Außer Frage steht, dass die belletristische Form Möglichkeiten einer lebendigen Darstellung eröffnet, bei der die Grenzen zum Sachbuch erzählend verfließen können. Ich finde das sehr reizvoll.

Die Fragen stellte © Herbert Ohrlinger

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