5 Fragen an ... Thomas de Padova

5 Fragen an ... Thomas de Padova

Lieber Thomas de Padova, Ihre Wissenschaftsbiografien über Einstein, Leibniz oder Newton sind Bestseller geworden. Wie war es für Sie, nach all den großen Wissenschaftlern ein Buch über Ihre italienische Großmutter zu schreiben, über einen Menschen, der Ihnen persönlich so nahe steht?
Im Unterschied zu meinen Biografien über Einstein, Leibniz oder Newton ist dieses Buch über die Lebenswelt meiner Nonna durchdrungen von dem, was ich selbst mit ihr erlebt habe. Beim Schreiben bin ich weniger meiner Neugier gefolgt. Vielmehr ist dieses Buch aus dem Wunsch heraus entstanden, das, was längst Gegenstand der Sehnsucht geworden ist, noch einmal zu durchleben.

Ihre Nonna hat ihr ganzes Leben in einem kleinen Dorf in Apulien verbracht, sie lebte ohne Kühlschrank, trug immer schwarz und verbrachte ihre Tage größtenteils damit, auf einem Stuhl im Dunkeln zu sitzen. Was war sie für eine Frau?
Meine Nonna war eine sehr willensstarke, resolute, einsame Frau, geboren noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs und aufgewachsen in einer bäuerlichen Familie, tüchtig und lebensklug, ohne jede Schulbildung. Nachdem sie die Feldarbeit hinter sich gelassen hatte, saß sie, wie viele Frauen des Südens, die längste Zeit des Tages auf einem Stuhl im Halbdunkel ihrer Wohnung, während draußen die Sonne schien und das Meer glitzerte, was allerdings auch dem Umstand geschuldet war, dass sie seit einem Unfall in ihrer frühen Kindheit hinkte. Sommer für Sommer saß ich mit ihr in diesem Halbdunkel. Stundenlang. Stunden, in denen nichts weiter geschah, als dass ich zusammen mit ihr durch die Zeit hindurchsah.

Existiert diese Welt, von der Sie in Ihrem Buch erzählen, heute noch?
Alltagsgegenstände aus der ehemals bäuerlichen Lebenswelt meiner Nonna, zum Beispiel die Astgabeln, die es in ihrer Wohnung in allen Größen gab, zum Abspannen der Wäscheleine oder als Anziehhilfe für ihre wollenen Socken, sieht man in Mattinata kaum noch. Und wer legt sich am Abend noch Streichhölzer unters Kopfkissen, damit sie nicht feucht werden? Auch die Sprache meiner Nonna, der lokale Dialekt, wird mehr und mehr zurückgedrängt, seit diese Gebirgsregion, der Gargano, über Schnellstraßen und Tunnel zugänglich ist. Aber vieles andere ist unverändert geblieben. Vor allem finden die jungen Menschen in Süditalien nach wie vor keine geregelte Arbeit. Viele wandern ab.

Ihr Buch ist durchzogen vom gleißenden Licht der Adriaküste, von Olivenhainen, vom immerblühenden Oleander und vom glitzernden Blau des Meeres. Ist Italien ein Sehnsuchtsort für Sie?
Seit meiner frühesten Kindheit trage ich diesen apulischen Sommer in mir mit seinen Farben, Gerüchen und Geräuschen. Glücklicherweise ist das Schreiben nicht der einzige Weg, der nach Süditalien zurückführt!

Sehr viele italienische Familiengeschichten sind geprägt von den großen Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Inwiefern lässt sich das Schicksal Ihrer Familie auch als die Geschichte einer Nation lesen, als eine Geschichte der italienischen Migrationsbewegungen?
Meine beiden Urgroßväter emigrierten 1905 und 1907 in die Vereinigten Staaten, wo mein Nonno geboren wurde, in einem typischen „Little Italy“ einer amerikanischen Industriestadt. Im Alter von zwölf Jahren kam mein Nonno dann nach Mattinata. Statt weiterhin die Schule zu besuchen, baute er von nun an Häuser. Auch mein Vater erlernte schon mit zwölf Jahren das Maurerhandwerk und ging später, wie mein Nonno, nach Deutschland. Diese Geschichte von Männern, die fortgingen, und Frauen wie meiner Nonna, die blieben und sich nie von ihren Traditionen entfernten, eine Geschichte, die von Entfremdung handelt und Einsamkeit, ist beispielhaft für den Süden Italiens.

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