5 Fragen an ... Theresia Enzensberger

5 Fragen an ... Theresia Enzensberger

Liebe Theresia Enzensberger, Auf See ist Ihr zweiter Roman. Wie fing es mit ihm an, was war die allererste Idee zu ihm?
Einen einzigen Entstehungsmoment zu benennen, fällt mir immer schwer. In gewisser Weise führt dieses Buch mein Interesse an neuen Technologien und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft fort, das ist etwas, womit ich mich schon bei meinem letzten Roman "Blaupause" sehr intensiv beschäftigt habe. Diesem Interesse bin ich gefolgt, und dann bin ich auf etwas gestoßen, was mich auch literarisch interessiert hat: die Idee einer künstlichen Insel als Rettung vor dem Weltuntergang. Im New Yorker las ich damals eine Reportage mit dem Titel Doomsday Prep for the Super Rich. Sie handelte von Menschen, die ihr ganzes Leben auf die kommende Apokalypse ausrichten, aber das waren keine harmlosen Spinner, sondern Leute in wichtigen Führungspositionen im Silicon Valley, die enorm viel Einfluss, Geld und Gestaltungswillen besaßen. Ich habe mich also gefragt: Wie sieht eine Gesellschaft aus, die von Menschen geformt wird, die diese Obsession mit der Zukunft haben?

 

Das Buch erzählt von Yada, einer sehr besonderen jungen Frau, die auf einer schwimmenden Insel in der Ostsee aufwächst. Was ist das für ein Ort, können Sie davon erzählen?
Die künstliche Insel in der Ostsee hat Yadas Vater, ein Tech-Unternehmer, konzipiert. Nun ist das alles schon zehn Jahre her, als wir Yada kennenlernen, und die Insel, die "Seestatt", ist ziemlich heruntergekommen. Was einmal eine glänzende, elegante Konstruktion war, ist jetzt von Moos und Algen überwuchert, verschlissen und voller Risse. Die meisten Leute, mit denen Yada und ihr Vater dort hingezogen sind, haben die Insel wieder verlassen. Trotzdem wird die strenge Taktung, nach der Yada lebt, weiter aufrechterhalten, ihr Leben besteht aus Unterrichtsstunden, Yoga, Meditation und Therapie.
Yadas Vater hat auf der Seestatt einen engen Kern von Anhängern, eigentlich ähnelt die soziale Struktur ein wenig der einer Sekte. Es gibt eine Ideologie – eine libertäre Geisteshaltung, die Eigenverantwortung zum höchsten Gut erhebt, Selbstoptimierung idealisiert und die Gesellschaft nach Marktprinzipien ordnen will. Es gibt einen Guru, Nicholas‘ Vater, der mit der Zeit immer paranoider wird. Und es gibt ein paar Anhänger*innen. Außerdem gibt es Leute, die euphemistisch "Mitarbeiter:innen" genannt, aber eigentlich ausgebeutet werden.

 

Warum haben Sie sich so stark mit der Angst vor dem Zusammenbruch beschäftigt, warum ist das ein so grandioses Motiv in Auf See?
Das Thema des Weltuntergangs liegt ja irgendwie in der Luft. Natürlich gab es das schon immer, die Angst davor, die Beschäftigung damit. Aber historisch gesehen gibt es natürlich Phasen, in denen die Apokalypse stärker in den Vordergrund tritt. Mit den alles umstürzenden Auswirkungen des Klimawandels, die wir immer stärker spüren, ist es eigentlich kein Wunder, dass das im kollektiven Bewusstsein eine Rolle spielt. Was mich daran interessiert hat, ist einmal die Frage, was wir eigentlich meinen, wenn wir davon reden – meinen wir das Ende der Menschheit? Wie erfasst, wie definiert man diesen Punkt, an dem die Welt "untergegangen" ist? Und zum anderen die Frage: Weltuntergang für wen? Auf der Seestatt zum Beispiel, leben privilegierte Menschen, Menschen, die es sich leisten können, sich auf einer künstlichen Insel abzuschotten.
Was die persönlichen Vorbereitungen angeht, die manche Leute treffen, das "Preppen": Ich denke, das ist in den meisten Fällen eine Art, mit einem Gefühl des Kontrollverlusts umzugehen, es schafft die Illusion, die Zukunft sei kontrollierbar. In libertären und rechten Zirkeln ist das "Preppen" aber oft auch eine Fantasie über das Danach: Die Fantasie einer gesellschaftlichen Tabula Rasa, auf der nun die "Stärksten", die überlebt haben, eine neue postapokalyptische Gesellschaft nach ihren Vorstellungen aufbauen können. In dieser
Hinsicht ist sie kolonialen Fantasien nicht unähnlich.
Eine andere Zeit, in der apokalyptische Themen eine große Rolle spielten, war das späte 19. Jahrhundert. Bei den englischen Romantikern spricht man von "Millennarismus"; von der Vorstellung, die Welt würde sich nach einer Art kathartischer Zerstörung umgestalten. Auch deshalb hat mein Roman etwas vom Gothic Novel, dem englischen Schauerroman – die Seestatt ist das heruntergekommene Schloss dieses Genres, Yada die einsame Protagonistin.

 

Immer wieder werden im Roman die Geschichten von Gemeinschaften erzählt – von historischen irrwitzigen Staatsgründungen auf winzigen Inseln über die schlichte Suche nach Liebe und Familie bis hin zum Schicksal einer Zeltstadt mitten in Berlin auf öffentlichem Grund. Sind Gemeinschaften in Auf See so wichtig, weil der Roman von einer fragmentierten Gesellschaft erzählt, oder warum?
Ich glaube, es ist ein zutiefst menschlicher Zug, angesichts immer düsterer Aussichten, angesichts von Abstraktionen wie Parteipolitik und Kapitalismus, nach kleineren Gemeinschaften zu suchen, nach Möglichkeiten der Organisation außerhalb von Strukturen, die unveränderlich und gleichzeitig völlig unberechenbar erscheinen. Vielleicht steht auch dahinter der Wunsch nach mehr Kontrolle. Jede neue Staatengründung ist letztlich eine Versuchsanordnung für Gesellschaft, eine Utopie. Auch deshalb spielen die Geschichten, mit
denen ich mich beschäftigt habe, oft auf Inseln – dem ursprünglichen utopischen Schauplatz. Aber natürlich muss man auch hier fragen: Wessen Utopie? Das libertäre Paradies, das sich Yadas Vater im Roman ausgedacht hat, ist für mich eine alptraumhafte Vorstellung. Die
Tech-Branche, das Silicon Valley strotzen nur so vor Weltverbesserungsrhetorik, jede neue App rettet angeblich ein kleines bisschen die Welt, mit jeder Konsumentscheidung werden wir in die Verantwortung genommen. Mit dieser Logik werden globale Ausbeutungszusammenhänge verschleiert und staatliche Institutionen von ihrer Verantwortung befreit. Man könnte das auch eine neoliberale Dystopie nennen.

 

Der Roman erzählt ja bei weitem nicht nur die Geschichte von Yada auf der Jagd nach ihrem Leben. Welche andere Figur liegt ihnen besonders am Herzen, hat eine sie besonders beschäftigt?
Parallel zu Yadas Leben auf der Insel wird Helenas Geschichte erzählt. Sie lebt in einem Berlin, das dem heutigen gar nicht so unähnlich ist – es gibt nur mehr Wolkenkratzer, mehr Start-Ups, weniger öffentlichen Raum, mehr Armut. Ich habe alles, was man heute schon in
Ansätzen sieht, ein bisschen auf die Spitze getrieben. Helena ist Mitte Dreißig und vor ein paar Jahren durch ein Video berühmt geworden, in dem sie aus Spaß einige Prophezeiungen gemacht hat. Einige von ihnen sind zufällig eingetreten, und Helena bemüht sich vergeblich, den Leuten auszureden, dass sie ein Orakel ist. Während Yada in ihrem täglichen Leben der allergrößten Kontrolle ausgesetzt ist, hat Helena jegliche Kontrolle abgegeben: Sie schläft in fremden Wohnungen, isst, was zufällig im Kühlschrank ist, und hat keinen Computer, kein Handy und schon gar keinen Kalender. Es war fast befreiend, über so eine Protagonistin zu schreiben. Auf der anderen Seite ist Helena für mich ein ambivalenter Charakter. Als sie feststellt, dass die Kunstwelt begeistert von ihr ist, fügt sie sich in die Rolle der Künstlerin ein und spielt die Rolle des Genies – was ja, selbst wenn die Geschlechterrollen umgekehrt sind, ein äußerst müder Archetyp ist. Man fragt sich bei Helena ständig, ob sie die Dinge wirklich glaubt, die sie sagt und tut. Aber sie hat einen solchen Erfolg damit, dass man dann wieder darauf zurückgeworfen ist, dass es eine Welt gibt, in der es sich lohnt, diese Rolle zu spielen.

 

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