5 Fragen an ... Norbert Gstrein

5 Fragen an ... Norbert Gstrein

Norbert Gstrein, „In der freien Welt“ folgt dem wilden Lebensweg Johns, eines in New York geborenen Sohnes jüdischer Holocaust-Überlebender. Der Roman spielt unter anderem in San Francisco und in Gmunden, im irischen Shannon, im Gazastreifen und in Tel Aviv, und am Ende fast auf Hawaii. Was war Ihr Antrieb, die Fenster zur weiten Welt aufzustoßen?
Die Figuren selbst, ihre Geschichten – sie haben die Fenster aufgestoßen. Ein amerikanischer Jude mit einer Mutter, die im Paris des Zweiten Weltkriegs gerade noch der Deportation entronnen ist, und Großeltern aus Polen und Russland. Als Jack-London-Leser war sein Kindheitstraum, irgendwo in Alaska ein Schlittenhund auf dem Weg zum Polarmeer zu sein. Auf der anderen Seite ein Palästinenser, der in Bethlehem lebt, und in Hebron arbeitet und über palästinensische Flüchtlinge auf der ganzen Welt phantasiert.

Eine „freie Welt“, davon träumen viele Figuren Ihres Romans, die alle aus den verschiedensten Kulturen kommen.
Einmal wird der Erzähler in Stanford von einer Studentin aus Indien angesprochen. Sie sagt zu ihm, so wie er aussähe, müsse er aus Pakistan stammen, und obwohl das nicht explizit dasteht, ist das wie eine Befreiung für ihn, und sie werden Freunde. Sie bringt ihn mit John zusammen, sie liest ihm aus einem Roman von V.S. Naipaul vor, und damit beginnt, was er einmal das Paradies, ein anderes Mal die glücklichste Zeit seines Lebens nennt.

Kann man überhaupt über die komplexen Konflikte zwischen Israel und Palästina schreiben, ohne dabei falsch zu liegen?
Für irgendjemanden wird man immer falsch liegen, weil es so viele Meinungen dazu gibt, so viele Interessenskonflikte, so viele Vorstellungen, wie Recht und Unrecht verteilt sind. Sollte man andererseits für jemanden allzu richtig liegen, könnte genau das ein Beweis dafür sein, dass man im Ganzen falsch liegt, weil man sich zur Partei gemacht hat. Wahrscheinlich ist es also sogar eine Voraussetzung, das Risiko einzugehen, auch falsch zu liegen, wenn man etwas Konkretes sagen will. Genau dafür gibt es ja unter anderem auch Romane. Denn darin können Sie Charaktere erschaffen, die Ansichten vertreten, die Sie selbst vielleicht nicht vertreten würden, in deren Zusammenspiel dann aber doch etwas Vertretbares herauskommt. Eine Figur des Romans sagt über den deutschen Außenminister, wenn es um Israel gehe, könne er nichts tun außer freundlich nicken, ein paar Sprüche für das Poesiealbum absondern und ein bisschen griesgrämig schauen. Das ist sehr zugespitzt, enthält jedoch auch ein Körnchen Wahrheit.

Sie selbst sind in Österreich geboren. Gibt es eine spezielle Hürde für deutschsprachige Autoren, über Israel zu schreiben?
Ich würde gern mit großem Selbstbewusstsein nein sagen, aber das hieße dann doch, mit der deutschen und österreichischen Geschichte und den Verbrechen der Nazis zu leichtfertig umzugehen. Vielleicht sind sie keine Hürde, aber man sollte sie unbedingt im Auge behalten, wenn man über Israel schreibt. An einem Ja als Antwort widerstrebt mir, dass ich dann sofort Sätze im Ohr habe wie: "Das darf nur ein Jude sagen." Der richtig-falsche Schluss daraus wäre, man dürfe als – na ja – "Nicht-Jude" gewisse Dinge nicht aussprechen, und von dort ist es dann nicht mehr weit zu einem empörten "Das wird man doch noch sagen dürfen". Dass das nur falsch sein kann, ist offensichtlich, wie sich auch sonst viel Falsches in der Sprache festgefressen hat. "Wiedergutmachung"? Die gibt es nicht und wird es nie geben. "Vergangenheitsbewältigung"? Diese Vergangenheit kann nicht bewältigt werden. "Jude", "Nicht-Jude"? Ich bin kein Jude, aber ich bin auch kein Nicht-Jude, genausowenig wie ich ein Nicht-Moslem, ein Nicht-Buddhist, ein Nicht-Palästinenser bin. Ich glaube nicht an eine solche Aufteilung der Welt in Gegensatzpaare.

Sind literarischer Stil und Eleganz eigentlich harte Arbeit? Feilen Sie an jeder Szene und jedem Satz?
Die Figuren meines Romans sind ebenfalls Schreibende, und es sind beide ästhetischen Extrempositionen vertreten: a) Leben kommt durch Leben in die Literatur. b) Leben kommt durch Sprache in die Literatur. Seit den Anfängen des Romans suchen Autoren bewusst oder unbewusst nach der richtigen Mischung. Ich vertraue mehr auf die Sprache und die Arbeit daran als auf die Kaffeehäuser oder wilde Drogennächte, aber wenn Sie fragen, woher die richtige Sprache kommt, dann landen Sie wieder nur beim Leben. Das Schöne ist, dass Sie sich nicht entscheiden müssen. Sie können viele Seiten blindlings vollschreiben und dann fast alles wegwerfen und so lange an ein paar Sätzen feilen, bis Sie die Kluft zwischen Sprache und Wirklichkeit fast ganz ausgelöscht haben.

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