5 Fragen an ... Nils Markwardt

5 Fragen an ... Nils Markwardt

Nils Markwardt, warum reden Sie in Ihrem Essay über das „Reden über die Flüchtlingskrise“?
Die Unterbringung und Integration über einer Million Asylsuchender erfordert gewaltige Anstrengungen von Politik, Verwaltungen, Vereinen, Schulen und Zivilgesellschaft. Gerade deshalb erfordert sie aber auch den Entwurf einer gesellschaftlichen Großerzählung. Denn kollektive Projekte brauchen stets eine symbolische Grundlage, ein Orientierungsnarrativ. Das heißt: Bevor etwas gemacht wird, muss es buchstäblich vorgestellt werden. Die politische Realität und das politische Imaginäre sind also zwei Seiten einer Medaille.

„Flüchtlingskrise“, da ist doch das Wort allein schon die Diagnose.
Der Begriff umfasst bestimmte Aspekte. Einerseits ist es natürlich richtig, dass sich die derzeitige Krise zunächst aus der schieren Anzahl Asylsuchender ergibt. Andererseits resultiert sie zum Teil aber auch aus politischer und bürokratischer Unfähigkeit. Man denke etwa an das Berliner Lageso. Ebenso haben wir eine Krise fremdenfeindlicher Gewalt. Laut BKA gab es allein 2015 1005 Attacken auf Flüchtlingsheime. Begreift man den Begriff der Krise indes in seiner ursprünglichen Bedeutung, scheint er sogar äußerst passend. Im Altgriechischen meinte krísis nämlich zunächst nur eine schwierige Situation, die auf eine Entscheidung oder einen Wendepunkt zuläuft. In welche Richtung es dabei geht, ist offen.

Das derzeitige Katastrophengefühl wird doch von immer mehr Meinungsbekundungen nur noch hochgeschaukelt. Haben wir es vielleicht vor allem mit einer Krise der öffentlichen Debatte zu tun?
Zweifellos lässt sich momentan nicht nur eine zunehmende Polarisierung, sondern mitunter auch eine regelrechte Verrohung des öffentlichen Diskurses beobachten. Das zeigt sich allen voran in den sozialen Netzwerken, wird aber auch im Intellektuellen deutlich. Denn hier herrscht in Teilen ebenfalls eine gewisse Angstlust, ein neo-schmittianischer Katastrophismus aus dem Ohrensessel.

Was wären Gegenrezepte?
Es gibt sicherlich kein Patentrezept. Zunächst müssen sich diejenigen, die am Austausch von Argumenten interessiert sind, zusammentun. Sei es im Netz, bei Bürgerversammlungen oder Podiumsdiskussionen. Und das hieße: Einerseits denjenigen den Diskurs verweigern, die nur Ressentiments reproduzieren wollen. Andererseits hieße es aber auch, andere prinzipiell ernst zu nehmen, also grundsätzlich bereit zu sein, vielleicht auch Unrecht zu haben.

Jetzt mal ehrlich: Ein „New Deal“ des neuen, konstruktiven Sprechens über das Flüchtlingsthema – halten Sie das wirklich für möglich, oder ist es nur eine interessante theoretische Vorstellung?
Es ist nicht rein theoretisch. Nicht nur, weil es ja bekanntlich Roosevelts „New Deal“ in den 1930er Jahren gab, sondern vor allem auch, weil Politik eben nicht nur auf Institutionen und Gesetzen beruht, sondern immer auch von kollektiven Erzählungen und Mythen lebt. Das versucht der Essay zu zeigen. Oder anders gesagt: Ein New Deal ist dann möglich, wenn ihn genug Menschen für möglich halten!

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