5 Fragen an ... Florian Werner

5 Fragen an ... Florian Werner

Lieber Florian Werner, du hast bereits Bücher über die Kuh, die Schüchternheit, die Schnecke, die 92 Elemente und viele weitere Themen geschrieben. Dein neues Buch handelt aber von der Raststätte. Wie kam es dazu?
Ursprünglich wollte ich die längste deutsche Autobahnstrecke, die A7, von Flensburg bis zur österreichischen Grenze entlang wandern und über diese Erfahrung schreiben – ich habe mich dann aber doch für die entspanntere Version entschieden und bin gleich zur Rast übergegangen.
Wie ich meine Themen finde, oder sie mich, ist mir selbst nicht ganz klar. Im Rückblick erscheint mir die Entscheidung, ein Buch über Autobahnraststätten zu schreiben, mit Blick auf mein bisheriges Werk aber absolut folgerichtig. Schließlich sind Raststätten gewissermaßen die Kühe unter den Bauwerken. Sie sind allgegenwärtig, werden aber kaum beachtet, sondern verachtet, belächelt unterschätzt. Und sie sind schüchtern: Rastanlagen sind Orte, die sich als Ziel nicht gerade aufdrängen. Wer sie kennenlernen will, muss schon auf sie zugehen, beziehungsweise zufahren.

Um diesen besonderen Ort wirklich zu verstehen, hast du tatsächlich mehrere Tage auf der Raststätte Garbsen Nord verbracht. Warum hast du ausgerechnet diese Raststätte ausgewählt?
Die Raststätte Garbsen Nord markiert ziemlich genau die automobile Mitte unseres Landes: Sie liegt unmittelbar an der A2, also der hochfrequentierten Ost-West-Achse, die Berlin mit dem Ruhrgebiet verbindet. Und unweit der A7, der großen Nord-Süd-Verbindung, auf der bayrische Touristen nach Skandinavien brettern und skandinavische Touristen nach Bayern. Wenn die Landkarte von Deutschland der Umriss eines Menschen wäre, dann läge Garbsen Nord in der Herzgegend. Abgesehen davon ist diese Raststätte ein Ort von hinreißender Durchschnittlichkeit, ein typischer Fünfzigerjahrebau, asphaltgewordene Normalität. Anders gesagt: Sie ist ideal, um stellvertretend für insgesamt 450 Raststätten zu stehen, die es hierzulande gibt.

In deinem Buch beschreibst du vor allem die Menschen, die du in Garbsen Nord kennengelernt hast. Welche Begegnung hat bei dir den größten Eindruck hinterlassen?
Wahrscheinlich meine Begegnung mit dem örtlichen Flaschensammler: Der Mann ist fast achtzig Jahre alt und kommt trotzdem jeden Tag mit einem klapprigen Damenfahrrad auf die Raststätte gefahren, um mit dem Pfand seine Rente aufzubessern. Er kennt Garbsen Nord wahrscheinlich besser als irgendwer sonst, besser als der Raststättenmanager oder der Leiter der örtlichen Autobahnpolizeiwache. Er beobachtet seit Jahren die Reisenden, die dort haltmachen. Er weiß ganz genau, wer was wegwirft und warum, er liefert gewissermaßen die Graswurzelperspektive.
Ach ja, und mein Gespräch mit einer ehemaligen MITROPA-Angestellten, die in den Achtzigerjahren auf einem Rasthof in der DDR bedient hat, war auch grandios; man vergisst ja leicht, dass auch die Geschichte der Autobahnraststätten vierzig Jahre lang zweispurig verlief. Meine naturkundliche Exkursion mit einem Experten für Rastplatzbotanik war auch toll. Und , und , und…

Würdest du sagen, dass wir Raststätten unterschätzen, dass es dort viel mehr zu entdecken gibt, als man zunächst vermutet?
Aber unbedingt. Ich würde sogar behaupten, auf Autobahnraststätten erfährt man mehr über deutsche Mentalität und Geschichte, über Verkehrspolitik, über Ökonomie, Philosophie, aber auch über gesellschaftliche Fragen wie das Verhältnis zwischen öffentlichem Raum und Privatsphäre als an jedem anderen mir bekannten Ort. In einer bekennenden Autofahrernation wie der unseren sind sie die wichtigsten Bauwerke überhaupt. Die durchschnittliche Verweildauer auf Autobahnraststätten ist ja seit Jahren rückläufig und beträgt aktuell nur noch eine knappe Viertelstunde – ich habe fünf Tage in Garbsen Nord verbracht und keine Minute davon bereut.

In deinem Buch geht es viel um Aufkleber. Könntest du kurz erzählen, was es damit auf sich hat?
Wegen ihres Durchgangscharakters sind Raststätten auf den ersten Blick ja ziemlich neutrale, austauschbare Orte – böse Zungen würden sogar behaupten: Nicht-Orte. Wahrscheinlich laden sie deshalb zur Beschriftung ein. Überall finden sich Sticker, Tags, Schriftzüge, Werbebanner, Gästebuchkritzeleien, launige Zweizeiler … Als Autor und Literaturwissenschaftler bin ich von solchen Gebrauchstexten immer total begeistert, ich lese alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Auf einem Aufkleber bin ich sogar dem Autobahnfinken wieder begegnet, diesem Raststättenmaskottchen, das mittlerweile so gut wie ausgestorben ist: „Ein Schmutzfink ist, wer nicht bedenkt / Dass Sauberkeit nur Freude schenkt“. Für mich eines der Schlüsselwerke der deutschen Nachkriegslyrik. Warum, erkläre ich im Buch.

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