5 Fragen an ... Dorothee Elmiger

5 Fragen an ... Dorothee Elmiger

Dorothee Elmiger, auf dem Buchdeckel Ihres neuesten Werkes Aus der Zuckerfabrik stehen nur Ihr Name und der Titel, keine Gattungsbezeichnung. Das Buch ist bibliophil ausgestattet, es leuchtet richtig in seinen Farben und kommt ganz ohne Bildmotiv aus. Was für einen Text haben Sie geschrieben?
Vielleicht das Protokoll einer kreisenden, unordentlichen Recherche zu den Gräben, auf die der Kapitalismus so dringend angewiesen ist, und zu einigen (historischen) Versuchen, diese Gräben mit einem oder beiden Füssen zu überwinden; auch Träume von Müttern und Festmahlen sind darin verzeichnet, einiges über Kutschen, Ekstasen, Kleist.

Was stand am Anfang dieser Arbeit? Und was hat Zucker mit all dem zu tun?
Begonnen hat alles mit einem Dokumentarfilm über den ersten Schweizer Lottomillionär, ein Arbeiter aus dem Kanton Bern, der im April 1979 1.696.335,90 Franken gewonnen und wenige Jahre später alles wieder verloren hat. Der Film zeigt eine Szene aus den Achtzigerjahren, in der das Eigentum des nun verschuldeten Lottokönigs versteigert wird, darunter zwei Figuren, die angeblich aus Haiti stammten. Hier setzte meine Recherche an: Was hatte es mit diesen Figuren auf sich, welche Verbindung bestand zwischen dem Berner Sanitärinstallateur und der karibischen Insel, und in welche Tradition reihte er sich damit ein? Schließlich hatte ja schon Kleist in seiner Novelle „Verlobung in St. Domingo“ einen Schweizer nach Haiti geschickt.
Wenn man so will, stellte der Zucker historisch ein Bindeglied zwischen Europa und der Insel dar: Während sich in Europa eine regelrechte Sucht nach dem süßen Genussmittel entwickelte, das erst als Luxusgut, dann als Lebensmittel des täglichen Bedarfs gehandelt wurde, war seine Produktion auf den Zuckerplantagen Teil einer mörderischen Wirtschaftsform. Die scheinbar unverfängliche Lust und der Genuss verlieren in dieser Perspektive ihre Harmlosigkeit. Was äußert sich also in diesem einen Augenblick, als der Versteigerer die zwei Figuren in die Luft streckt? Mit dieser und ähnlichen Fragen habe ich meine Arbeit begonnen.

Sie selbst sind im Text von Beginn an sichtbar, sind für viele Seiten aber mehr eine Moderatorin Ihrer Nachforschungen. Das verändert sich mit einer Liebesgeschichte, die sie selbst ganz in den Text hineinzieht. Warum war es Ihnen wichtig, Körper und Text nicht zu trennen?
Im Lauf meiner Recherche bin ich selbst immer stärker reingerutscht in den Text, ohne dass es meine Absicht war: Natürlich stecke ich als Autorin immer schon mit drin, aber in diesem Fall schien es mir wichtig, das sehr deutlich zu formulieren. Die Fragen, die sich mir zu Beginn als gesellschaftliche stellten, drängten sich plötzlich auch ganz persönlich auf: Wie begehre ich, wen oder was begehre ich und auf wessen Kosten? Ist meine Lust, ist mein Hunger zerstörerisch? Bin ich die Zuckeresserin?
Trotzdem ist das Ich aber ein künstliches – es verwandelt sich ja immer gleich alles auf dem Papier.

Alle ausgebreiteten Gedanken in Ihrem Text sind immer wieder eingewoben in Naturbetrachtungen, in Beschreibungen des Himmels, des Lichts, der Wolken, der Tiere und Flüsse auf verschiedenen Kontinenten. Wie kommt die Natur in Ihren Text?
Wie sich die Bäume vor den Fenstern im Laufe der Recherche verändern; was der Mensch mit der Natur anstellt im Zuge der Jahrhunderte; wie manche Dinge den Menschen scheinbar unberührt überdauern – der wetterlose Bereich der Atmosphäre, Wolkenformationen –, die Folgen des menschlichen (ökonomischen) Handelns sich andererseits immer schon und nun deutlicher denn je auch in der Natur abzeichnen: Die Frage, was sich anhand der Natur über die Geschichte und das Wesen der Zeit feststellen lässt, hat mich bei der Arbeit begleitet. Der Text ist so gesehen auch ein Tagebuch aus dem Anthropozän.

Wenn Aus der Zuckerfabrik eine große Recherche-Erzählung ist, gibt es für Sie denn ein Ergebnis?
Das Ergebnis liegt in meinen Augen in den Verbindungen, die aufscheinen zwischen den Exzerpten, den Spekulationen, Fakten, Visionen und Erinnerungen: Eine flüchtige Form der Erkenntnis, die es so vielleicht nur in der Literatur gibt.

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