5 Fragen an ... Christiane Körner

5 Fragen an ... Christiane Körner

Liebe Christiane Körner, welche Stellung hat dieses Buch in Gasdanows Werk?
Eine ganz besondere: es ist sein persönlichstes und sein ehrlichstes Buch, in dem er ungeschönt seine nächtlichen Taxierfahrungen mitteilt und auch seine Verzweiflung an der Welt des Exils. Gleichzeitig ist es poetologisch sein gewagtester Text, weil aus dem Taxifahren ein erzähltechnisches Verfahren wird.

Gasdanow verwendet keine Gattungsbezeichnung. Dennoch sprechen Sie im Nachwort (meiner Ansicht nach zu Recht) von einem Taxiroman. Warum?
So autobiographisch der Text auch ist – er wird durch feinverästelte Reflexion transzendiert, durch ein dichtes Netz von Verweisen literarisch strukturiert, und an einigen Hauptfiguren entlang entwickelt sich eine spannungsgeladene, dramatische Handlung. Mit anderen Worten: als gestaltetes Erzählwerk verdient er die Bezeichnung Roman.

Wie setzt Gasdanow seine Erfahrungen als Nachttaxifahrer literarisch und stilistisch um?
Das Buch ist stark episodisch, wie das Taxifahren, das nur kurze Zufallsbegegnungen ermöglicht. Das Kreisen durch das nächtliche Paris spiegelt sich in fantastischen, endlos wirkenden Satzschlaufen und in der rhythmischen Wiederholung von Motiven. Das erzeugt beim Lesen ein Gefühl von Ziellosigkeit und Unentrinnbarkeit. Und alles in nächtlicher Dunkelheit …

Welche Rolle spielen Emigration und Exil in diesem Buch?
Entwurzelung, Scheitern, bittere Armut, Fremdheit, Depression: Nächtliche Wege zeigt das russische Exil von ganz unten, unbarmherzig, bis an die Schmerzgrenze. In seinen Grunderfahrungen von Orientierungs- und Werteverlust, Instabilität und Vereinzelung ähnelt der Emigrant allerdings den deklassierten Vertretern der französischen Zwischenkriegsgesellschaft, denen er in seiner nächtlichen Welt begegnet. Insofern steht das Exil auch für eine existenzielle Erschütterung.

Was Gasdanow hier beschreibt, sind ja zentrale Erfahrungen der Moderne. Liegt es daran, dass uns dieses Buch trotz seiner Entstehungszeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg heute noch so frisch erscheint?
Oh ja. Mehr noch, es ist verblüffend dicht am heutigen Erfahrungshorizont – vertraut ist uns zum Beispiel der plötzliche Verlust von Gewissheiten, der Verfall von Autoritäten oder das Empfinden, dass eine Zeitenwende bevorsteht. Und dass das Schreiben für Gasdanow auch eine Art Therapie war, macht den Roman darüber hinaus besonders eindringlich.

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