Paul Zsolnay Verlag

„Man hat an mich oft die Frage gerichtet, wie man mit Erfolg einen Verlag aufbaut, und ich kann dazu nur ein Wort sagen, das eigentlich auch auf andere Berufe zutrifft: Dieses eine Wort heißt Liebe. Liebe zum Buch, zu den Menschen, denen man mit Büchern eine Freude bereiten möchte, und – last but not least – Liebe zu den Menschen, denen wir die Bücher verdanken. Wenn man mich fragt, wie groß die Liebe sein soll, möchte ich den Untertitel der bei mir erschienenen Anthologie ‚Liebe‘ zitieren: Das Maß der Liebe ist lieben ohne Maß.“
Paul Zsolnay, 1955

Im April 1924 erscheint mit Franz Werfels „Verdi – Roman der Oper“ das erste Buch des neuen Verlags und wird prompt zu einem Bestseller.

In den Jahren von 1924 bis 1933 erscheinen etwa 950 Titel, vorwiegend deutschsprachige und internationale Belletristik. Der Verlag steigt innerhalb kurzer Zeit zu einem der wesentlichen Verlage des deutschsprachigen Raumes auf. Zu den bekanntesten internationalen Autoren zählen die Nobelpreisträger John Galsworthy, Roger Martin du Gard und Sinclair Lewis; darüber hinaus werden Bücher von Colette, A. J. Cronin, H. G. Wells und Theodore Dreiser herausgebracht. Franz Werfel, Heinrich Mann, Max Brod, Carl Sternheim, Leo Perutz und die Debütanten Friedrich Torberg und Hilde Spiel führen die Riege der deutschsprachigen Schriftsteller an.

Der Paul Zsolnay Verlag gilt als jüdischer Verlag, was sich nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland unmittelbar auswirkt. Die sogenannten Verbotslisten der Reichsschrifttumskammer führen dazu, dass der deutsche Markt für viele Zsolnay-Autoren mit einem Mal verschlossen bleibt. Um die Existenz des Verlags zu sichern, versucht Zsolnay, das Programm umzukrempeln. 1934 stellt er sogar einen nationalsozialistischen Lektor ein, der im Laufe der Jahre eine Reihe von politisch opportunen Autoren ins Programm rückt. Unmittelbar nach dem „Anschluss” Österreichs engagiert Paul Zsolnay Strohmänner, die den Betrieb nach außen hin leiten. Zsolnay selbst bleibt nach einer Geschäftsreise in London im Exil. Als die Nationalsozialisten auf die „Scheinarisierung” aufmerksam werden, sperrt die Gestapo Ende März 1939 den Verlag und setzt einen Treuhänder ein. Nach langen Verhandlungen erwirbt ihn 1941 der ehemalige Reichsschrifttumskammer-Referent und Schriftsteller Karl Heinrich Bischoff; er führt den Verlag bis Kriegsende unter seinem eigenen Namen.

Als der Krieg zu Ende war
Im Herbst 1945, in der allerersten Nummer des wiedererstandenen Anzeigers für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel, heißt es: „Wir geben dem gesamten Buchhandel bekannt, daß wir unsere Arbeit als Verlag auch weiterhin im Sinne internationaler kultureller Zusammenarbeit fortführen.“ Und im folgenden Heft: „Wir geben an dieser Stelle nochmals bekannt, daß wir unsere Tätigkeit in vollem Umfang wieder aufgenommen haben, um dort weiterzubauen, wo wir 1938 unterbrochen wurden.“
Paul Zsolnay kehrt Anfang 1946 aus der Emigration nach Wien zurück und beginnt seinen Verlag wiederaufzubauen. Er wird zur deutschsprachigen Heimstatt von Graham Greene, John le Carré, Johannes Mario Simmel, Marlen Haushofer und anderen.

Am 13. Mai 1961 stirbt Paul Zsolnay in Wien.
Auf dem Weg in die Zukunft
Nach wechselhaften Jahrzehnten und mehreren Eigentümerwechseln erwirbt 1996 der Carl Hanser Verlag, München, den Zsolnay Verlag mit der Absicht, an die große literarische Tradition des Hauses in den Anfangsjahren anzuschließen. Unter der Leitung von Herbert Ohrlinger wird internationale und deutschsprachige Belletristik verlegt, es erscheinen Klassiker- und Gesamtausgaben, literarische Krimis und eine breite Palette von vor allem geistesgeschichtlichen und politischen Sachbüchern. Mit Jean-Dominique Baubys Bericht Schmetterling und Taucherglocke gelingt 1997 ein aufsehenerregender Bestseller, im Jahr darauf beginnt mit Henning Mankells Die fünfte Frau eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Karl-Markus Gauß, Franzobel, Magdalena Sadlon, Friedrich Achleitner, Eginald Schlattner aus Hermannstadt sowie etwas später Konrad Paul Liessmann, Martin Pollack, Armin Thurnher, Franz Schuh, André Heller u. a. bezeugen die formale Vielfalt der deutschsprachigen Literatur und des erzählenden Sachbuchs. Übersetzungen von Edmund de Waals Der Hase mit den Bernsteinaugen und des genialen rumänischen Romanciers Mircea Cărtărescu sorgen für internationale Aufmerksamkeit. Biografien bedeutender Persönlichkeiten wie Gustav Mahler und Karl Kraus (beide von Jens Malte Fischer), Hugo von Hofmannsthal (von Ulrich Weinzierl), Ivo Andrić (von Michael Martens) und Autobiografien u. a. von Heinrich Treichl und Barbara Coudenhove-Kalergi geben Einblick in das bewegte zwanzigste Jahrhundert. profile – Magazin des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und die Schriftenreihe des Philosophicum Lech stellen eine Verbindung zur angewandten Wissenschaft her.

Nach der Privatisierung des Österreichischen Bundesverlags erwirbt Zsolnay 2004 von der Ernst Klett GmbH den traditionsreichen Deuticke Verlag. Gemeinsam mit der langjährigen Programmleiterin Martina Schmidt gelingt es, durch die spektakulären Bücher u. a. von Daniel Glattauer und Paulus Hochgatterer große Erfolge zu erzielen und den Verlag noch breiter zu verankern. Autorinnen wie Julya Rabinowich, Andrea Grill und die Gewinnerin des Bachmann-Preises von 2019, Birgit Birnbacher, repräsentieren eine jüngere Generation, und mit Neu- oder sogar Erstauflagen von Büchern von Ernst Lothar, Ludwig Winder, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler und Hermynia Zur Mühlen wird an die bedeutende literarische Tradition erinnert.
Bedingt durch den tiefgreifenden Wandel der gesamten Buchbranche geht der Imprint Deuticke mit Jahresende 2019 im Paul Zsolnay Verlag auf. Die Titelanzahl und die grundlegende Ausrichtung des Verlages bleiben gleich.