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"David Grossman ist ein Meister darin, mit erbarmungslosem Feingefühl zu beschreiben, wie sehr Menschen darum ringen, sich Wahrheiten nicht zu stellen. ... Er weicht weder der Härte, noch der Düsternis aus, doch sein zutiefst menschlicher Ton, die Eleganz seiner Sprache machen 'Was Nina wusste' auch zu einem Werk umwerfender Schönheit." Claudia Voigt, Der Spiegel, 28.11.20
"Die Neugier, der Antrieb zum Schreiben, die Sogkraft der Geschichten, das speist sich aus seinen politischen Überzeugungen, seinen Zweifeln, seinen Fragen. Das ist seine Kunst." Volker Weidermann, Der Spiegel, 10.10.20
„Grossman spürt mit großem Einfühlungsvermögen und sprachlichem Feingefühl den Beweggründen nach, die Menschen wie seine Vera so handeln lassen, wie sie eben handeln.“ Klara Obermüller, Neue Zürcher Zeitung, 30.08.20
"Grossmans Schreiben aus Gilis mitfühlender Perspektive setzt sich wie getrieben immer neuen Gefühlswaschgängen
aus und nutzt dennoch jede Gelegenheit, um mit sarkastischem Witz nach Luft zu schnappen, einen Moment des Abstands herzustellen." Eva Behrendt, Die Tageszeitung, 29.08.20
"Anne Birkenhauer, Grossmans getreue Übersetzerin, beherrscht alle Register. Alleine ihre Art, Veras kroatisch geprägtes Ivrit in ein knatternd herzhaftes Deutsch zu übertragen, ist so witzig wie anrührend." Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung, 28.08.20
"'Was Nina wusste' ist Familiengeschichte und Zeitgeschichte in einem. Mit großer Empathie deutet Grossman die Folgen politischer und psychischer Gewalt aus. ... Seine beeindruckenden Charaktere geben den Blick frei in die Tiefe menschlichen Empfindens und die Abgründe des 20. Jahrhunderts." Carsten Hueck, WDR5 Bücher, 22.08.20
"Was David Grossman mit diesem Buch leistet, entzieht sich der Beschreibung in Worten, weil es in der liebenden Härte gegenüber seinen Figuren dem entspricht, was Vera getan hat. Man muss 'Was Nina wusste' lesen, um etwas vom Unbegreiflichen zu wissen." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.08.20
"Der Roman verströmt eine weltumarmende Kraft und Energie. ... Ein zum Niederknien überragend
guter Text." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 14.08.20
"Je mehr man sich in diese von der Politik torpedierte Familiengeschichte versenkt, desto mehr psychologische Finessen offenbart sie und desto glaubhafter wirkt die sie bestimmende Sehnsucht nach Aussprache und letztlich Versöhnung." Wolfgang Schneider, Tagesspiegel, 20.08.20
„Die Erzählung schafft eine Unterbrechung, die dem über Generationen weitergegeben Trauma Einhalt gebieten kann. „Was Nina wusste“ ist alles auf einmal: Kriegsbericht, historische Rekonstruktion, Liebesgeschichte und Familienroman und in jeder Hinsicht überwältigend. David Grossman ist einfach der größte lebende Schriftsteller… umwerfend und atemberaubend.“ Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.08.20
„Mit welcher Empathie und Genauigkeit erzählt der Menschenkenner und illusionslose Menschenfreund David Grossman diese Geschichte! Wie ein Sog folgt der Leser diesen schmerzhaft nah heran rückenden Personen, möchte sie gar vor ihren eigenen Verletzungen schützen.“ Marko Martin, Welt am Sonntag, 16.08.20
„Grossman gestaltet diese historische und tiefenpsychologische Exkursion szenisch stark, in gewohnt feinfühliger und empathischer Weise. Vergangenheit und Gegenwart schieben sich übereinander wie die Perspektiven der einzelnen Figuren.“ Carsten Hueck, Deutschlandfunk Kultur, 15.08.20
„Es ist schön und befreiend, Grossman bei seinen schreibenden Entspannungsübungen zu folgen und zu erleben, wie die Fäuste sich langsam öffnen. Vera ist eine fantastische Figur – eine fanatische Ideologin, warm herzig und kühl entschlossen zu gleich, lebenskundig und doch blind für ihre Nächsten.“ Volker Weidermann, Der Spiegel, 14.08.20
5 Fragen an …
David Grossman
Wie ist der Stoff für diesen Roman zu Ihnen gekommen? Was Nina wusste beruht ja auf einer realen Lebensgeschichte …
Die Geschichte hat Eva Panic-Nahir mir selbst erzählt – langsam, nach und nach, während der zwanzig Jahre, in denen wir eng befreundet waren. Schon als sie mit der eigenen Hartnäckigkeit, stürmisch und emotional in mein Leben platzte, wusste ich, sie hat eine Lebensgeschichte zu erzählen und die Geschichte einer Liebe, wie ich sie bisher nicht gehört habe. Trotzdem sind zwanzig Jahre vergangen, bis ich das Gefühl hatte, dass ich darüber schreiben kann.
„Liebe Eva“, sagte ich ihr jedesmal, wenn sie mich fragte, ob ich schon angefangen hätte zu schreiben, „ich werde die Geschichte nicht genauso schreiben, wie du sie mir erzählt hast. Ich dokumentiere ja nicht, ich bin ein Schriftsteller, der Fiktion schreibt. Ich muss das, was existiert, selbst erfinden. Ich werde mir deine Geschichte, dich und Nina und Gili, deine Enkelin, vorstellen. Und dann werde ich die Geschichte von einem Punkt aus schreiben, an dem du, die Heldin der Geschichte, nicht sein kannst.“
Das Buch erschien erst, nachdem Eva im Alter von siebenundneunzig Jahren gestorben war. Ich hoffe, ich bin ihr, ihrer Komplexität und den Widersprüchen in ihrer Person treu geblieben.
Es geht um drei Frauen, drei Generationen: Vera, die Großmutter, Nina, die Tochter, und Gili, die Enkelin. Wie wichtig ist die Idee der Familie für Ihren Roman?
Fast alle meine Bücher handeln von Familien und der Wucht ihrer Geschichten. Ich denke, die größten Dramen der Menschheit finden in der Familie statt. In diesem Buch ist die Familie der Ort, an dem wir die ursprünglichsten und stärksten Gefühle von drei Frauen ganz nah erleben, von drei Generationen, die kaum anders können als einander zu verletzen, doch die Beziehung zwischen ihnen ist auch der Ort, an dem der Prozess der Heilung und der Genesung beginnen wird.
Vera wurde in den Fünfzigerjahren auf die Gefängnisinsel Goli Otok verbannt. Sie ist daran nicht zerbrochen. Wie war das möglich?
Die Insel Goli Otok in Kroatien ist einer der entsetzlichsten Orte auf der Welt. Sie ist hässlich, wie nur Gewalt hässlich sein kann. Nur sehr wenige der Menschen, die dort als Gefangene oder als Aufseher waren, haben ihre Menschlichkeit bewahrt. Eva Pani?-Nahir – die Vera meines Romans – ist bei den Verhören und bei der Zwangsarbeit nicht zerbrochen. Sie hat niemanden denunziert und niemanden ausgeliefert. Mehr noch, als sie mit ihrem Körper, mit dem Schatten, den ihr kleiner Körper warf, eine kleine Pflanze beschützte, die einzige, die auf dieser nackten Insel wuchs, spürte sie in sich einen Quell der Güte, des Beschützens und sogar der Mütterlichkeit, einer Mütterlichkeit, die sie ihrer Tochter nicht entgegengebracht hat. Das große Wunder ihrer Lebensgeschichte und der Geschichte des Lebens ihrer Tochter sind für mich nicht die Jahre, die Eva in dem „Umerziehungslager“ Goli Otok verbrachte, sondern die Jahre danach: ihre Fähigkeit, ins Leben zurückzukehren, mit Kraft und Leidenschaft am Leben festzuhalten und weiterhin an den Menschen zu glauben.
Viele Jahre später reisen die drei Frauen nach Goli Otok, und zum ersten Mal erzählt Vera ihrer Tochter, wie es dazu kam, dass sie Nina als Kind weggegeben hat und selbst in die Verbannung ging. Gibt es im Roman etwas wie eine Versöhnung?
Ich glaube sehr ans Geschichtenerzählen, daran, dass die Kraft der Geschichte den Menschen, der sie erzählt, verändert. Das hängt natürlich auch von dem ab, der sie hört. Der aufmerksame, aktive Zuhörer kann die lebendige, wahre Geschichte aus sich selbst gebären, eine Geschichte, die eben nicht dem Aufsagen eines Textes gleicht, den wir schon dutzende Male gehört haben. Und dann kann es passieren, dass etwas, was hart und erstarrt war, sich aufzuweichen und flexibel zu werden beginnt, und plötzlich spüren wir, dass wir nicht das hilflose Opfer einer Geschichte bleiben müssen, in der wir viele Jahre lang gefangen waren. Einer Geschichte, die auf eine Realität zutraf, in der wir längst nicht mehr leben. Ich habe den Eindruck, genau das passiert in meiner Geschichte, als Vera ihrer Tochter Nina die Geschichte erzählt, die für sie beide Gefängnis und Strafkolonie gewesen ist.
Wie war es für Sie als Mann, aus der Perspektive einer Frau zu schreiben, genauer, aus der Perspektive von drei Frauen?
Jede der drei Frauen in der Geschichte hat nicht nur ihre eigene äußere und innere Welt, sondern auch ihre eigene Sprache und ihren eigenen Ton. Aber ich glaube oder hoffe, dass es in jedem von uns unendlich viele Möglichkeiten gibt, in der Welt zu leben. In jedem Mann gibt es eine Frau oder mehrere Frauen, in jeder Frau gibt es einen Mann oder mehrere Männer … Leider verengen wir die Fülle dieser vielen Möglichkeiten aus Angst oder Scham, aus der Notwendigkeit heraus, als „ein“ Mensch effektiv zu handeln. Für mich ist es eines der wunderbaren Dinge des Schreibens, mich nicht länger gegen diese Fülle zu wehren. Mich nicht vor ihr zu fürchten. Mich den verschiedenen Figuren, die uns bevölkern, hinzugeben … mich mit meinem ganzen Sein ihnen und ihrer Geschichte hinzugeben.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer