Fatma Aydemir: "Dschinns". | Zur Veranstaltungs-Website
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Fatma Aydemirs großer Familienroman – Auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022
Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet. Voller Wucht und Schönheit fragt „Dschinns“ nach dem Gebilde Familie, den Blick tief hineingerichtet in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte und weit voraus.
"Die ebenso berührende wie verstörende Familiengeschichte fesselt nach wenigen Seiten. Das Schweigen und Verschweigen innerhalb der Familie ist erlebbar geschildert. Beeindruckend die sprachlich unterschiedlichen Personen-Kapitel." Die Zeit, waswirlesen-Newsletter, Auf Platz 3 der 10 Bücher des Jahres 2022, 29.12.22
"Zu Aydemirs 'Dschinns' werden Literarhistoriker greifen, wenn sie 2122 beschreiben wollen, wie man vor 100 Jahren in Deutschland geschrieben hat." Olaf Przybilla, Süddeutsche Zeitung, 23.08.22
"Immer wieder erstaunlich, was man mit der guten alten Form des Familienromans erzielen kann... Eine Augen öffnende Lektüre." Denis Scheck, ARD druckfrisch, 22.05.22
"Eine vielschichtige, psychologisch starke Familiengeschichte, in der es nicht zuletzt darum geht, dass man in sein eigenes Herz schauen sollte, um zu wissen, wer man ist. Denn nur wenn man das weiss, kann man einander vergeben." Annette König, SRF, 25.05.22
„Ein sehr, sehr besonderes Buch. Aydemir erzählt nämlich einerseits hochreflektiert, analytisch, klar und auf der anderen Seite mit ganz großer Empathie für jede einzelne ihrer Figuren – da schwingt immer Distanz und Nähe mit, das ist sehr ausgewogen und sehr, sehr ausdrucksstark. Psychologisch hochinteressant.“ Sylvia Schwab, Deutschlandfunk Büchermarkt, 02.04.22
"Ein mitreißender Familienroman … selten wurden in der neueren Literatur die Qualen einer über Generationen vererbten Entmündigung und der Befreiung aus ihr so überzeugend geschildert." Nicole Henneberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.03.22
"Die Quellen des Unglücks versiegen nie, umso weniger, wenn Familien von einem Land ins andere migrieren. Deshalb muss auch die Geschichte dieser Familie erzählt werden, denn sie ist wie alle guten Geschichten eine, die man so noch nie gelesen hat und die über die Familie hinaus in die Gesellschaft weist. Der Schmerz dieser Familie trifft ins Mark – aber er öffnet die Augen, das Herz und manchmal sogar den Mund. Dann beginnt das Erzählen. Martina Läubli, NZZ Bücher am Sonntag, 27.03.22
"Ein wichtiger Roman über den Verlust von Wurzeln und großen Schwierigkeiten, sich in Deutschland zu Hause zu fühlen, wenn viele dort von 'Scheißtürken' reden. Zumal Aydemir nie einseitig auf dieses Dazwischen-Sein blickt." Katja Weise, NDR Kultur, 18.03.22
"So gut, dass man das Buch kaum weglegen kann: Fatma Aydemir beschreibt in ihrem neuen Roman die Konflikte in einer Familie, die aus der Türkei auswanderte und in Deutschland nie richtig ankam." Eva Thöne, Der Spiegel, 14.03.22
"Die Bilder und Situationen, die Aydemir aufruft, sind von einer beinahe unheimlichen Präzision. Jeder sparsame Dialog, jedes verstockte Gefühl, jede popkulturelle Referenz – kurz: jedes Wort – sitzt." Maryam Aras, Die Presse, 05.03.22
"Vielfalt bildet der Gesellschaftsroman nicht nur in den verschiedenen Standpunkten und Herausforderungen seiner ProtagonistInnen ab, sondern darüber hinaus in seiner stilistischen Varianz. ... Ein Buch, das politische Brisanz und Grundfragen des Menschseins mit Sentiment und Melancholie vereint." Björn Hayer, Der Freitag, 24.02.22
"Aydemir fühlt sich in fast jede ihrer Figuren meisterhaft ein – man kann ihr Buch kaum aus der Hand legen." Spiegel Bestseller Beilage, 11.03.22
"Ein berührender Familienroman über die große Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung." Brigitte, 05/22
"Fatma Aydemirs junge Protagonisten sitzen zwischen den Stühlen und sehnen sich nach einer eigenen Geschichte. Selten hat ein Buch das so berührend, einfühlsam und in jeder Zeile glaubwürdig auf den Punkt gebracht." Marcella Drumm, WDR5 Scala, 22.02.22
"Ein Familienroman von außerordentlicher Intensität." Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung, 16.02.22
"Der Einfachheit halber werden Romane gerne in Schubladen gesteckt und besonders gern und rasch werden Bücher in der Schublade Migrantenliteratur abgelegt. Nicht so hier, denn mit seinen lebensprallen Figuren, den schnellen an TV-Serien erinnernden Schnitten zwischen den Szenen und dem langsamen Aufdecken lange gehüteter Geheimnisse, schreibt sich Fatma Aydemir aus jeder Schublade heraus." Wolfgang Popp, Ö1 Morgenjournal, 16.02.22
"Ihr deutsch-türkischer Familienroman, der kurz vor der Jahrtausendwende spielt, ist ein Wunderwerk an Präzision und Einfühlung. … Die Stimmenvielfalt ihres Romans ist ebenso außerordentlich wie die Nonchalance, mit der sie die gängigen Diskurse zu Herkunft, Geschlecht und Identität ins Erzählen überführt. Das Spiel mit Leitmotiven beherrscht sie genauso wie lockere Dialoge und geschickte Dramaturgie." Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung, 16.02.22
"Ein kraftvoller, manchmal schmerzhaft ehrlicher Familienroman, in dem alle Figuren ihre Abgründe offenbaren und trotzdem ihre Würde behalten. Man lebt und leidet mit ihnen bis zum dramatischen Schluss." Laura Freisberg, Bayern 2 Diwan, 13.02.22
"Ein Familienroman, der in klassischer Weise mit Geheimnissen arbeitet, mit unausgesprochenen Wahrheiten. Da gibt es mehr, als sich offenbart. Und deswegen kann man diesen Roman kaum weglegen." Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.22
"Ein großes Epos über Migration und die Suche nach Lebensantworten, das sich kaum aus der Hand legen lässt." Cigdem Akyol, Kulturtipp, 06/22
Fatma Aydemir hat eine Playlist zu ihrem Buch zusammengestellt:
Fatma Aydemir
Fatma Aydemir, an Dschinns haben Sie lange recherchiert und geschrieben. Was war die allererste Idee dazu, womit begann Ihre Geschichte mit diesem Buch?
Eigentlich saß ich an einer ganz anderen Geschichte und kam mit ihr nicht richtig weiter. Dann schrieb ich eines Abends plötzlich von dieser Figur, Hüseyin Yilmaz, die gar nichts mit meiner eigentlichen Idee zu tun hatte. Ich schrieb, wie Hüseyin in der Woche seines lang ersehnten Renteneintritts an einem Herzinfarkt stirbt – ohne dass ich überhaupt wusste, wer Hüseyin war und wo er herkam. Aber mir war sofort klar, dass ich die alte Geschichte wegschmeißen würde, und dass Hüseyins Tod der Anfang eines anderen Romans war, der Anfang von Dschinns. Kapitel für Kapitel habe ich dann Hüseyins Angehörige kennengelernt, um von ihnen zu erfahren, wer dieser sterbende neunundfünfzigjährige Arbeiter im ersten Kapitel ist.
Im Mittelpunkt von Dschinns steht das Schicksal einer einzigen Familie, der Familie von Emine und Hüseyin Yilmaz und ihren Kindern. Was ist das für eine Familie, wie kann man sie in aller Kürze beschreiben?
Es ist eine Familie, in der die Arbeitsmigration aus der Osttürkei in die Bundesrepublik einen tiefen Graben zwischen den Generationen gezogen hat. Während die vier Kinder irgendwie versuchen, in der deutschen Gesellschaft, in der sie größtenteils sozialisiert sind, ihren Weg zu gehen, sind ihre Eltern Hüseyin und Emine komplett isoliert: von der Umgebung, von ihren Kindern, aber auch voneinander. Dieser Graben führt dazu, dass alle Familienmitglieder ihre wahren Sorgen voreinander verschweigen. Bei Hüseyins Beerdigung wird schließlich klar, wie fremd sie einander geworden sind.
Sie erzählen aus sechs verschiedenen Perspektiven, die Mitglieder der Familie kommen nacheinander zu Wort. Wie haben Sie es geschafft, jedes Mal wie neu auf die Welt zu blicken?
Mit Pausen. Ich habe mir sehr viel Zeit genommen, um für jede Figur eine eigene Stimme und Denkweise zu finden. Zwischendurch musste ich immer wieder Abstand vom Buch nehmen, bevor ich mich in die nächste Figur reinfinden konnte. Ich hatte für das Buch einen sehr groben Plot im Kopf, aber mit der Zeit merkte ich, dass es die Figuren und ihre Perspektiven sind, die die Erzählung vorantreiben – dass sie meinen ausgedachten Plot immer wieder umschmissen, weil sie irgendwann ein Eigenleben entwickelten. Mir war wichtig, jeder Figur eine eigene Geschichte zu geben, so dass ihr Kapitel auch allein für sich stehen könnte und eine in sich geschlossene Geschichte ergäbe. Aber gleichzeitig sollten die Geschichten zusammengenommen ja auch eine größere Geschichte erzählen, die den Roman ergibt. Das war herausfordernd.
Der Roman spielt im Jahr 1999 und erzählt in vielen Wendungen auch die Geschichte der Jahrzehnte zuvor. Warum der Zeitsprung weg von unserer Gegenwart, warum 1999?
Die neunziger Jahre sind ein Jahrzehnt, das je nach Perspektive als sehr gemütlich oder als besonders gewaltvoll erinnert wird. Jedes Mal, wenn ich eine Story lese, die die neunziger Jahre zu einer harmonischeren, sicheren Zeit verklärt, zucke ich innerlich zusammen. Für mich sind das die Jahre, die in Deutschland von der Allgegenwärtigkeit rechter Gewaltngeprägt war, und in der Türkei von Massakern. Die Strukturen, die sich in den neunziger
Jahren gebildet haben, reichen bis ins Heute. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Hanau und Solingen. Gleichzeitig erlebe ich oft, wie Nostalgie sich auf diese noch nicht ganz durchdigitalisierte Zeit richtet, in der wir alle einander angeblich viel näher waren. Ich glaube, das ist falsch. Viele Menschen waren vor zwanzig bis dreißig Jahren viel einsamer, als sie es heute wären. Denn es war deutlich schwieriger, Gleichgesinnte zu finden, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Auch darum geht es in Dschinns.
Was hat es eigentlich mit dem Titel Dschinns auf sich?
Im islamischen Glauben ist der Dschinn ein Lebewesen, das gemeinsam mit den Menschen die Welt bevölkert, aber unsichtbar bleibt. Das Phänomen Dschinn ist allerdings älter als der Islam und bis heute eher eine Art Volksglaube an einen bösen Geist, der Menschen in den Körper fährt und sie verrückt macht, wenn sie sich nicht vor ihm schützen. Für mich ist die Idee des Dschinns eher als ästhetisches Motiv interessant: als diffuse Angst, die sich nie vollständig greifen und aussprechen lässt. Für jede Figur im Roman äußert sie sich anders, bei manchen erscheint der Dschinn als plötzliches Aufblitzen von Verdrängtem, bei anderen im Kampf darum, einen Sinn im eigenen Leben zu erkennen. Dabei geht es mir nicht um eine spirituelle Ebene, sondern um eine soziale, politische Frage: Welche Geschichten erzählen wir von uns und welche nicht, um in einer Gemeinschaft akzeptiert zu werden?
Gespräch: Florian Kessler
Kiel
Die Pumpe e.V.,
Haßstraße 22,
24103 Kiel
Elmshorn
Stadttheater Elmshorn,
Klostersande 30,
25336 Elmshorn
Bonn
Haus der Bildung Bonn
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Kommentare
Buchhandlung Lesezeichen Darmstadt
01.06.2022Hallo Hanser, wir lesen in einem unserer Lesekreise gerade „Dschinns“ und normalerweise tauschen wir uns nicht im Vorfeld zum Leseerlebnis aus. Diesmal hat es aber einen Freund hingerissen. Und das schrieb er uns:
„ Hallo Ihr Lieben,
so, bin fertig mit dem neuen Buch und muss sagen: \“Holla die Waldfee!!!\” – pardon: \“Holla der Berg-Dschinn\”, was war das denn?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das alles als \“gut\”, \“kunstvoll\” oder \“gelungen\” bezeichnen darf. Aber Tatsache ist, dass ich es in \“drei Aufnahmen\” gelesen habe (und sogar sauer wurde, als man mich familienseitig mal unterbrechen wollte), so spannend fand ich das. Eine solche Verbindung zu einem belletristischen Text hatte sich bei mir zum letzten Mal bei \“Hool\” eingestellt.
Mittlerweile dämmert mir sogar, dass der Text einiges an Raffinesse aufzubieten hat, und nur scheinbar so dahinerzählt rüberkommt. Will sagen: vor der heutigen finalen Lektüre (das Kapitel über Peri hatte ich zunächst übersprungen), hatte ich den kompositorischen Aufwand des Romans deutlich unterschätzt – das passt doch alles ziemlich gut zusammen. Jetzt verstehe ich auch: Das erste Kapitel mit der Schilderung Hüseyins als stereotype \“Gastarbeiter-Schmonzette\” war für sich genommen zwar erst mal ziemlich öde, aber als \“Basis\”, von der aus dann aber mal so richtig ausgeholt werden kann, bis schließlich sogar die Erde erzittert, ein prima Kontrast.
Heilige Scheiße, und jetzt eröffnet sich mir auch die spezielle Erzählweise und der Bezug zum Titel. Ich weiß nicht, wie es Euch damit geht. Auf mich wirkte diese Du-Erzählperspektive, denen Hüseyin und Emime (und nur diese beiden) in der Istanbuler Wohnung ausgesetzt waren, sehr \“befremdlich\”. Befremdlich wie die berühmten Erzählungen von Yasar Kemal über das Ende \“seines\” romantisierten Istanbuls aus der naiven Sicht des \“gemeinen Volkes\” (\“Auch die Vögel sind fort\”, 1978/1984), die ich vor Jahrzehnten mal gelesen habe – und bei denen ich auch den Eindruck hatte, dass hier gegen abendländische Literaturstandards verstoßen wird, dafür aber eine ganz besondere \“Stimmung\”, ein besonderes Gefühl transportiert wird, das mir im wahrsten Sinne des Wortes \“fremd\” bleiben wird.
Da verzeihe ich der Autorin auch ihren etwas plump geratenden Hakan, obwohl es ihm unter allen (türkischen) Männern in Deutschland ja noch am besten zu gehen scheint (und das hat ja wirklich eine breite soziologische Basis). Ebenso wie der zur Zeit in Filmen übliche und extrem nervige Wechsel zwischen Jetzt und Rückblende.
Ha, Teufel noch eins, ich bin wohl jetzt Fan! Tja, unverhofft kommt oft – und damit besten Dank an diejenigen, die diesen Vorschlag beim letzten Treffen durchgesetzt haben.“
Selten habe ich gerade bei dieser Person so ein Sprühen erlebt.
Alles Gute wünscht Britta aus dem Lesezeichen