Presse
„Was für eine Geschichte! […] Es ist ein Buch, das an nichts Großes oder Romanhaftes glaubt, weil es auf faszinierende Weise gar nicht anders kann, als die Details zu sehen. [...] In Die Fremde kann man schön sehen, wie sich der Kinderblick allmählich weitet und die Erzählerin zu dem wird, was auch die Autorin ist: eine brillante Analytikerin selbsterlebter Gegenwart.“ Paul Jandl, NZZ, 28.04.21
„Diesem grell leuchtenden Strom von Durastantis Erinnerungsarbeit kann man sich einfach nicht entziehen. Die heute 36-jährige Autorin beherrscht die stilistischen Register, die sie zieht, mit verblüffender Eleganz. Dank der charismatischen Titelfigur, deren Vorname bis zuletzt verschwiegen wird, sticht das Buch aus der langen Reihe autofiktionaler Publikationen heraus.“ Heinz Gorr, Bayern2-Favoriten, 27.04.21
„In ihrem Roman Die Fremde verwandelt sie krasse Kindheitserlebnisse in leuchtende Literatur. […] Das alles liest man atemlos, hin- und hergerissen zwischen Fassungslosigkeit und Mitgefühl.“ Katja Nele Bode, Brigitte Woman, Mai 2021
„Wortmächtig erzählt die Autorin vom Leben der Familie über Kontinente hinweg. Ein zutiefst verstörendes Buch, passend zu einer Zeit, in der sich so viele fremd fühlen.“ Susanne Kippenberger, Der Tagesspiegel, 29.03.21
„Empathisch, aber ohne ihren Lesern Gefühle aufzuzwingen, intim, aber nie unangenehm privat, unsentimental und mit Humor. […] eine Geschichte mit so außergewöhnlichen Protagonisten, wie man sie sich fast nicht ausdenken kann.“ Anna Vollmer, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.03.21
„Von einer spröden Schönheit und selbstbewussten Eigenart.“ Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung, 10.03.21
„Durastanti springt von einem Gedanken zumnächsten, von der Poesie zur Prosa, von einer Überhöhung zu einer nüchternen Passage, als ob es unmöglich wäre, ihre Lebensgeschichte linear zu erzählen. Es gibt in diesem Buch unzählige Themen, die den Roman dicht werden lassen, an manchen Stellen sogar so sehr, dass man seine Gegenstände nicht in aller Tiefe erfassen kann.“ Francesca Polistina, Süddeutsche Zeitung, 09.03.21
„Ein sehr poetisches Buch.“ Jagoda Marinić, ZDF Das Literarische Quartett, 26.02.21
„Ein Text, der enorme Echtheit vermittelt.“ Juli Zeh, ZDF Das Literarische Quartett, 26.02.21
„In nahezu jedem Absatz gelingt es ihr, eine kleine literarische Welt zu erschaffen, die unter die Haut geht.“ Irene Prugger, Wiener Zeitung, 27.02.21
„Ein großer Wurf.“ Andrea Seibel, Literarische Welt, 27.02.21
„Dass Menschen auf verschiedene Weisen immer häufiger marginal bleiben und Nomaden werden, das macht das sehr lesenswerte Buch auch noch zu einem aktuellen Autodafé.“ Michael Freund, Standard Album, 20.02.21
„Egal ob italo-amerikanische Wohnviertel in Brooklyn, verlassene Dörfer in der Basilicata, oder die neue Heimat East-London, überall gelingen ihr überzeugende Milieustudien.“ Christine Gorny-Hansen, Radio Bremen Zwei, 17.02.21
„Eine junge literarische Stimme, die sich voll tobender Empathie und geistreicher Euphorie an den alten Themen abarbeitet, abarbeiten muss.“ Bernd Melichar, Kleine Zeitung, 13.02.21
5 Fragen an …
Claudia Durastanti
Frau Durastanti, wenn man Ihren Roman Die Fremde gelesen hat, hat man das Gefühl, Sie zu kennen, Ihre Familie, Ihren Background, Ihre gehörlosen, sehr speziellen Eltern, Ihren Bruder, Ihre Erfahrungen in Amerika und in Europa. Ist Ihre Geschichte eine, über die eine Schriftstellerin irgendwann im Leben schreiben muss?
Ich glaube, ob ein Schriftsteller eine persönliche Geschichte irgendwann tatsächlich schreibt, hängt davon ab, wie lange sie oder er sich dagegen auflehnt: Mein Gefühl sagt mir, je länger du dieses Projekt ablehnst, je länger du einen inneren Widerstand dagegen aufbaust, desto länger bleibst du der eigenen Mythenbildung gegenüber skeptisch und desto eher hat ein solches Buch eine Chance zu entstehen, wenn es deinem Widerstand mit gleicher Kraft entgegentreten kann. Die besten autobiografischen Geschichten in der Literatur sind für mich jene, die nie geschrieben hätten werden sollen. Ich spreche nicht von Reue oder Enthüllung oder Angst, es geht mir eher um die Form: Wenn du sie über lange Zeit hindurch aufbaust, dann werden sie auf die eine oder andere Art irgendwann explodieren. Und deshalb sind das Projekte für einmal im Leben.
Ihr Schreiben wird oft als sehr amerikanisch bezeichnet. Verstehen Sie das, ist das so? Gibt es Autorinnen und Autoren, die Sie speziell bewundern?
Ich stimme dem nur bis zu einem gewissen Grad zu, da ich auf Englisch nie richtig schreiben gelernt habe; meine amerikanische Sprache ist vor allem eine mündliche, in sehr privaten Kontexten gebrauchte und dann später im Leben eine täglich benutzte. Aber ich habe als Teenager Tonnen von amerikanischer Literatur gelesen, hauptsächlich in Übersetzung. Deshalb verdanke ich so ziemlich alles Übersetzern wie Fernanda Pivano, Elio Vittorini und Cesare Pavese. Ihr gabt mir die Möglichkeit Francis Scott Fitzgerald, Jack Kerouack und John Steinbeck zu lesen! Und mein Stil ergibt sich aus diesem Dazwischen der Übersetzung. Ich liebe amerikanische Literatur nach wie vor, aber ich denke, alles was ihretwegen bei mir geschehen ist, endete vor vielen Jahren, als ich „Unterwelt“ von Don DeLillo gelesen habe. Das war mein wichtigster Entwicklungsschritt als Schriftstellerin, nach der Lektüre war ich nicht mehr dieselbe, nicht mehr an denselben Dingen interessiert. Alles, was mit dieser Sprache und dieser Kulturlandschaft zu tun hat, endet für mich also mit diesem Roman. Seither bin ich weniger amerikanisch ;)
Migration, Fremdsein, Integration sind wichtige Themen in Ihrem Roman. Und auch in unserem Alltag, wir sehen, was an Europas Grenzen passiert. Wie stehen Sie dazu? Sind das Erlernen einer neuen Sprache und das Lesen Schlüssel zu einer neuen Welt, zu einer neuen Kultur?
Ich habe ein sehr praktisches und materielles Verständnis davon, wie Romane, Geschichten, Anekdoten, Tagebücher und Gedichte deinen Zugang zu Politik verändern können. Auch wenn du per se kein Leser bist, wenn du den Erzählungen von Zugehörigkeit und Migration, der Euphorie, der Einsamkeit, der Angst und dem Trauma des Weggehens ausgesetzt bist, wenn du von diesen Geschichten hörst, realisierst du, dass das wirklich dich betrifft, jemanden aus deiner Vergangenheit, deiner Familie. Jeder stammt von Migranten ab und bringt Migranten zur Welt. Dies abzustreiten, diese Tatsachen aus egoistischen Gründen, aus Angst und aus Irrglauben zu verdrehen, ist ein Akt der Verstümmelung für mich, der mit einem sehr hohen persönlichen Preis verbunden ist. Ich glaube nicht, dass Romane Machthaber beeinflussen können, die ihre eigene Agenda verfolgen. Aber ich glaube, dass starke Romane ansteckend sein und deine Wahrnehmung im Alltag verändern können. Es geht darum, das, was du über dich selbst denkst, mit der Welt zu verknüpfen. Jeder tut das. Nur manchmal werden Menschen ermutigt, falsche Verknüpfungen herzustellen. Ich denke, gute Literatur ist ein Hilfsmittel gegen falsche Verknüpfungen.
Sie sind nicht nur Schriftstellerin sondern auch Übersetzerin und übersetzen u. a. Ocean Vuongs Texte ins Italienische. Beeinflussen sich diese beiden Tätigkeiten für Sie gegenseitig?
Vielleicht könnte ich Übersetzerin sein, ohne Romanautorin zu sein, aber ich könnte nicht Romane schreiben, ohne Übersetzerin zu sein. Übersetzung ist für mich wie die Blutzirkulation in den Adern der Fiktion. Sie macht meine Sprache lebendiger und offener für verschiedene Möglichkeiten. Und sie verlangsamt meine eigene Arbeit so sehr! Ich wurde immer meditativer, weil sich alles so kostbar anfühlt. Übersetzung, vor allem die Übersetzung von weniger guten Büchern, lehrt dich, sparsam zu sein, fokussiert, kreativ und wirklich ganz nah an den Wörtern.
Die Fremde erscheint in vielen Sprachen, eine Fernsehserie, die auf dem Roman basiert, wird gerade produziert. Wie fühlt sich diese Reise Ihres sehr persönlichen Romans für Sie an?
Ich wollte ein Buch schreiben, um meine eignen Grenzen zu erweitern. Anstatt mir das Leben anderer anzueignen, wie das ein Schriftsteller normalerweise tut, wollte ich, dass sich die Leser meines aneignen und es biegen und fiktionalisieren und dass es sich für sie wie eine Ausdehnung ihrer eigenen Erfahrungen anfühlt. Das klingt ein bisschen ambitioniert, aber ich wollte nicht, dass das Leben, das ich in dem Buch beschreibe, speziell oder besonders verrückt oder was auch immer wirkt. Ich mag zwar das Wort „ich“ benutzen, aber ich denke oft, dass ich nur zu scheu war, um „wir“ zu sagen. In diesem Buch ist ein „wir“ versteckt. Als eine Frau aus der Arbeiterklasse (früher einmal), die in einer Familie aufgewachsen ist, in der Gehörlosigkeit, Migration und Isolation so zentral waren, weigere ich mich zu glauben, dass diese Erfahrungen aus der Welt verschwunden sind. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr finde ich heraus, dass Gehörlosigkeit, Isolation, Migration, das Unbehagen gegenüber der eigenen Klasse und das Misstrauen gegenüber der Normalität eine gemeinsame, vielfach geteilte und grundsätzliche Erfahrung sind. Wir mögen die Dinge bei verschiedenen Namen nennen, und ich leugne die Schwierigkeiten, die wir in meiner Familie hatten, nicht, aber ich höre das Echo dieser persönlichen Geschichte wieder und wieder in sehr verschiedenen Kontexten und das überrascht mich jedes Mal.
Interview und aus dem Englischen von Bettina Wörgötter