Über den Roman
Wie wollen wir leben?
Über Henning Mankells frühen Afrikaroman Der Sandmaler
Er lebe mit einem Fuß im Schnee und mit einem Fuß im Sand, hat Henning Mankell im Hinblick auf seine beiden Wohnsitze in Schweden und Mosambik gern gesagt. 1971 kam er zum ersten Mal nach Afrika. Er reiste nach Guinea-Bissau, damals noch eine portugiesische Kolonie. In den Roman Der Sandmaler hat er auch seine eigenen ersten Eindrücke von Afrika eingearbeitet. Der Roman, 1974 in Schweden erschienen, spielt im Jahr 1971, das Land hat Ähnlichkeiten mit Gambia, wie Guinea-Bissau an der afrikanischen Westküste gelegen, doch nennt Mankell keinen Namen, denn es ist eine exemplarische Geschichte. In Mankell über Mankell erwähnt er später ein Tagebuch, das er damals geführt hat und in dem er seine Reiseeindrücke und Gedanken über den Kolonialismus festhielt. Und er erzählt von einem halbverfallenen Friedhof weißer Missionare, aus dem im Roman ein privater Friedhof der Engländer geworden ist.
Henning Mankell war zum Zeitpunkt dieser Reise 23 Jahre alt. Stefan und Elisabeth, die beiden Hauptfiguren des Romans, sind noch etwas jünger, als sie erstmals nach Afrika reisen. Die beiden waren zwar einmal ein Pärchen, doch sie sind vollkommen verschieden. Für Stefan, den Sohn reicher Eltern, zählen Luxus, Unterhaltung und Sex. Den Afrikanern gegenüber verhält er sich überheblich und scheut sich auch nicht, Negerwitze zu reißen. Elisabeth dagegen ist ein nachdenklicher Charakter. Sie wuchs mit einer behinderten Schwester auf und ist von Hilfsbereitschaft und Empathie geprägt. Sie will hinter die Kulissen des fremden Landes schauen und die Menschen dort wirklich kennenlernen. Ein Lehrer aus ihrer Reisegruppe klärt sie über die Hintergründe des Kolonialismus auf. Durch diese Afrikareise findet Elisabeth in gewisser Weise zu sich selbst.
Schon in Mankells erstem Roman über Afrika tauchen die zentralen Themen auf, die sich durch sein ganzes späteres Werk ziehen. Der Traum von Afrika, die Schönheit der Natur und die gesellschaftliche Realität, vor allem das Elend der Kinder. Die Verbrechen des Kolonialismus und die Gedankenlosigkeit der weißen Touristen. Die Fortsetzung der Kolonisierung durch das westliche Kapital. Die Frage nach Gerechtigkeit und Moral, die später auch zur Triebfeder für seinen berühmten schwedischen Kriminalkommissar Kurt Wallander wird.
Wenn der Autor uns im Sandmaler mit diesen beiden gegensätzlichen jungen Menschen, Elisabeth und Stefan, und ihren ersten Reaktionen auf Afrika konfrontiert, scheint er uns zu fragen: Wie wollen wir im reichen Europa leben? In gedankenlosem Wohlstand, auf Kosten der armen Länder? Oder finden wir einen besseren, verantwortungsvolleren Weg? Diese Fragen haben ihn selbst sein Leben lang beschäftigt. Mit seinem großen finanziellen und ideellen Engagement für Afrika hat Henning Mankell sie für sich persönlich beantwortet. Und natürlich durch seine Bücher. Die Fragen selbst aber sind heute nicht weniger dringlich als vor gut vierzig Jahren, als er seinen ersten Roman über Afrika schrieb.
© Tatjana Michaelis
5 Fragen an …
Verena Reichel
Frau Reichel, Sie haben alle Afrikaromane von Henning Mankell übersetzt. Was ist das Besondere an diesem ersten Buch über Afrika?
Es ist eine perfekte Einführung in sein Werk. Zwei schwedische Abiturienten besuchen ein afrikanisches Land, das erst seit einem Jahrzehnt unabhängig ist. Während Stefan nur die Vorzüge des Tourismus genießt, lässt sich Elisabeth auf die Geschichte und die Kultur des Landes ein und lernt die ärmlichen Lebensbedingungen der Einheimischen kennen. Das prägt ihr künftiges Leben.
In welcher persönlichen Situation befand sich Henning Mankell, als er diesen Roman schrieb?
1971 reiste Henning Mankell zum ersten Mal nach Afrika, nach Guinea-Bissau, das damals noch eine portugiesische Kolonie war. Er kannte dort niemanden und gab sich als Ornithologe aus. Wie er später erzählte, hat er zu dieser Zeit auch Tagebuch geführt. Er konnte also auf seine Aufzeichnungen dieser ersten starken Eindrücke zurückgreifen, als er wenig später den Sandmaler schrieb, der allerdings in einem anderen afrikanischen Land spielt – der Name wird nicht genannt.
Was hat es mit dem Sandmaler im Roman auf sich?
Der Sandmaler ist ein junger Afrikaner. Er hat ein wunderschönes Frauengesicht in den Sand geritzt, das nach der Form einer Afrikakarte gestaltet ist. Darunter stehen ein paar Worte auf Englisch: „Die Zukunft ist ein sozialistisches Afrika.“ In ihm begegnet Elisabeth dem Repräsentanten einer neuen Generation, die selbstbewusst ihr eigenes Leben führen will.
Ist ein Anfang der siebziger Jahre geschriebenes Buch über Afrika denn heute überhaupt noch aktuell?
Natürlich! Noch heute leiden diese ehemaligen Kolonialländer unter den Folgen der jahrzehntelangen Unterdrückung. Die Länder werden nach wie vor ausgeplündert, der Tourismus ist in der Hand ausländischer Investoren. Die heutigen Kriege auf dem afrikanischen Kontinent sind zum großen Teil Nachwirkungen des Kolonialismus.
Welches der anderen Bücher von Henning Mankell, die Sie übersetzt haben, ist Ihnen besonders lieb?
Der Chronist der Winde. Es ist die bewegende Geschichte des Straßenkindes Nelio, das in neun Nächten sein Leben erzählt, ehe es an einer Schusswunde stirbt. Nelio hat als Einziger ein Massaker an seiner Familie überlebt und schlägt sich als Überlebenskünstler und Anführer einer Bande in den Straßen Maputos durch. Liebevoll spricht er von seinen Freunden, die mit Fantasie und Klugheit ihr elendes Leben meistern.
Die Fragen stellte © Tatjana Michaelis