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Das Abenteuer hat am 11. Februar um 01:34 Uhr begonnen! Falls du heute erst einsteigst, kannst du die erste Nachricht hier nachlesen:
Nachricht vom 11. Februar
„Jetzt hör doch auf!“, sagte sie laut. Dass sie mit sich selbst sprach, hatte in der fünften Nacht angefangen. Sie wusste, dass niemand sie hören konnte, solange sie nicht schrie. Mum schlief wie ein Stein. „Ernsthaft… es ist nur ein Geräusch in deinem Kopf. So wie dieses… Ohrdingsbums… Tinnitus oder wie das heißt. Daran ist nichts Geheimnisvolles oder Unheimliches. Und um Punkt 1:34 Uhr springt wahrscheinlich jede Nacht eine große Maschine drüben auf dem Industriegelände an. Oder im Elektrizitätswerk. Irgendetwas macht da Lärm, ich höre es im Schlaf und werde davon wach. Das ist alles.“
Jetzt, wo sie in der siebten Nacht in Folge am Fenster saß, war ihr alles klar. Es geschah immer um exakt 1:34 Uhr, und was sie zu diesem Zeitpunkt abrupt aus dem Schlaf riss, war eine Art Lied. Im Traum hörte sie einen langen Ton, vielleicht ein Läuten, als würde jemand mit einem Metalllöffel über eine alte Glocke streichen, und danach das Anschwellen einer… Stimme. War es eine Stimme? Ein düsteres und zugleich goldenes Lied, das wie ein Fluss vorbeiströmte… ein dünner, gerade Fluss… ein pulsierender, düsterer goldener Liederstrom – zischend, übersprudelnd und wunderschön.
Elena griff nach einem Buch und setzte sich wieder ans Fenster, um die nächsten Stunden lesend zu verbringen. Mit etwas Cathy Cassidy würde die Zeit wie im Flug vergehen, und in der Morgendämmerung würde sie ins Bett gehen. Vielleicht war sie eingeschlafen – vielleicht auch nicht. Alles, an das sie sich später erinnern konnte, war, dass sie die Stirn wieder ans Fenster drückte und dass die Nacht dort draußen, hinter dem dünnen Glas, zu ihr durchzusickern schien wie Tränen durch ein Stück Stoff.
Und dass unten auf der Straße eine einsame, schmenenhafte Gestalt stand, reglos, eine Pistole auf sie gerichtet.
Nachricht vom 18. Februar
“Was geht hier vor? Hat dir jemand geholfen? Läuft da irgendwas hinter meinem Rücken?” Matt versuchte, ihn von sich wegzudrücken, doch sein Vater war groß und schwer und kräftig gebaut wie eine Bulldogge. “Das hab ich dir doch gesagt!”, schrie Matt im Versuch, seinen Vater zu übertönen. “Ich bin früh aufgestanden! Das ist alles. Ich habe schon drei Autos fertig. Bist du gar nicht zufrieden damit?”
“Aber warum? Warum bist du früh aufgestanden?” Sein Vater schüttelte ihn, abgestandener Whisky-Atem wehte Matt ins Gesicht. “Ich weiß nicht, warum”, murmelte er und sackte unter den Händen seines Vaters zusammen. “Ich wache einfach auf und kann dann nicht mehr einschlafen.”
“Schlaf heute Nacht mal durch”, sagte sein Dad und schüttelte ihn nur noch leicht an der Schulter, “und morgen früh fängst du zur üblichen Zeit mit den Wagen an. Geh jetzt frühstücken.” Er drehte sich um und ging zurück in die Wohnung. Heute hatte Matt keine Spuren davongetragen, aber selbst, wenn er ein wenig geblutet, einen neuen blauen Fleck oder sogar ein blaues Auge gehabt hätte – sein Dad hätte es nicht gesehen. Das alles war normal. So war sein Leben eben. Und nichts konnte ihn so leicht aus der Ruhe bringen.
_Bis jetzt. 1:34 Uhr. Sollte er heute Nacht wieder um 1:34 Uhr wach werden, würde er völlig durchdrehen.
Der Schlafmangel holte ihn ein. Schlagartig bewusst wurde ihm das, als er während der Pause am späten Vormittag mit Ahmed in der Schulkantine abhing. Matt war gerade dabei, eine Tüte Erdnussflips zu öffnen, als er plötzlich der Länge nach nach vorne fiel. Mühsam rappelte er sich zum Sitzen auf, verwirrt, die Erdnussflips um ihn herum verstreut. Ahmed starrte ihn mit offenem Mund an, und eine Achtklässlerin mit langen blonden Haaren kam auf ihn zu. Besorgt ging sie neben ihm in die Hocke und fragte: “Ist alles in Ordnung? Du siehst aus, als ob …”_
Ahmed drängte sie zur Seite. “Alter! Hast du die ganze Nacht lang an der Xbox gesessen?” Die Welt drehte sich, alles war plötzlich rosa, dann stand sie wieder halbwegs gerade und nahm normale Farben an. Matt lächelte schief. “Ja – mordsmäßig lang, Bro!” Das Mädchen stand auf, zuckte mit den Achseln, hängte sich die Schultasche um und ging davon. Matt lief zu den Toilettenräumen und hielt die Fäuste unter den kalten Wasserstrahl des Waschbeckens, sein Kopf in der weißen Porzellanvertiefung für die Seife. Er richtete sich auf und betrachtete sein Spiegelbild über dem Waschbecken. Sein Gesicht war bleich und wirkte abgemagert. Er sah aus wie ein Zombie. Aber schlimmer als all das war, dass er kurz, wirklich kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Matteus Wheeler weinte NIE.
Das sagte er sich den Rest des Tages immer wieder. Als ihm das Mädchen aus der Schulkantine noch einmal im Flur begegnete und ihm einen seltsamen Blick zuwarf. Als er am Nachmittag weitere vier Wagen für KOWSKIS GLANZAUTOS reinigte. Er sagte es sich auch, als er um 22:30 Uhr völlig erschöpft ins Bett fiel.
Und als er um Punkt 1:34 Uhr wach wurde, weinte Matteus Wheeler.
Nachricht vom 25. Februar
“Life is a game of chance …” Ihre Stimme hatte sie noch – gerade noch. Ein dünnes, näselndes Flüstern, das sich aus ihrem Hals quetschte. Die anderen Musicaldarsteller spielten zwar weiter, tauschten jedoch besorgte Blicke. Was um Himmels Willen war mit Tima los?
Einige Meter über ihrem Kopf umkreiste eine Motte einen gelb strahlenden Bühnenscheinwerfer. Es war ein großer dunkler, summender Falter und er zog seine Kreise nun immer dichter und dichter neben ihr. Tima begriff plötzlich: Wenn sie jetzt weitersang und ihren Mund offen stehen ließ, um die langen Töne zu halten, würde diese Motte vermutlich auf ihrer Zunge landen.
“… if you don’t mind …” In diesem Moment verabschiedete sich ihre Stimme. Tima stand da, den Mund fest geschlossen, und starrte wie versteinert auf die Motte. Jetzt stand auch Mr. James auf der Bühne, kündigte dem Publikum eine vorgezogene Pause an und legte seinen Arm um die schlotternde Tima. “Setz dich hin”, sagte eine ruhige, tiefe Stimme. Mr. James führte Tima zu einem kleinen Holzstuhl, während sich der Bühnenvorhang zuzog und die Geräusche der Zuschauer dämpfte. “Ist dir übel?”, fragte Mr. James. “Fühlst du dich schlapp? Du siehst blass aus. Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen?”
“Oh ja, ich sollte mich unbedingt ein wenig hinlegen”, erwiderte sie und lachte hysterisch auf. Jeden Abend legte sie sich pünktlich um 21 Uhr hin. Und genau 4 Stunden und 34 Minuten später wachte sie wieder auf. Und bis zum nächsten Abend gab es nichts – absolut nichts –, was sie hätte tun können, um wieder einzuschlafen.
Mum und Dad kamen, umarmten und trösteten Tima lange und nahmen sie mit nach Hause. Aus dem Auto auszusteigen und in ihr Zimmer zu gehen, fühlte sich an, als müsse sie sich im Wasser vorwärtskämpfen. “Du bist bloß übermüdet, Mäuschen. Du schläfst ja schon fast. Gute Nacht – und träum was Schönes.”, sagte Mum, als sie Tima zudeckte. Tima spürte noch den Kuss ihrer Mum auf der Stirn, dann hüllte sie die Erschöpfung ein, und weg war sie.
Klick. “Oh nein! Das soll wohl ein WITZ sein!?”, jammerte Tima, drehte sich zur Seite und schlug mit der Faust auf den Nachttisch. Ihr Wecker ruckelte kurz auf seinen kleinen Metallfüßen und tickte fröhlich weiter, Sekunde um Sekunde. 1:34 Uhr und 10 Sekunden. Und 20 Sekunden. 30, 40, 50. Tima stand auf und zog Jeans und T-Shirt an. Sie lief hinunter, in die Stille und in die Dunkelheit. Tima schloss vorsichtig die Haustür auf, öffnete sie langsam und ließ den Schlüssel in ihre Hosentasche gleiten.
Sie verließ den Garten und lief auf dem Gehweg am Nachbarhaus vorüber. Eine Motte flog an ihr vorbei. Anders als bei der Motte, die sie auf der Bühne beobachtet hatte, machte es ihr hier überhaupt nichts aus. Und nur, um zu testen, ob es tatsächlich ein Traum war, streckte Tima die Hand aus und rief sie in Gedanken zu sich. Die Motte blieb in der Luft stehen und flatterte dann in einem Bogen zurück. Sie steuerte direkt auf Timas geöffnete Handfläche zu und ließ sich darauf nieder. Tima hielt den Atem an.
Nachricht vom 04. März
Die Jungs pöbelten viele Schüler an. Wenn jemand darauf reagierte, kam nur noch Schlimmeres von der Gang. Man musste so tun, als ob es einen gar nicht interessierte. Und meist interessierte es Elena auch nicht.
Das Problem war nur, dass Elena durch den Schlafmangel nicht mehr alles so locker wegsteckte. Sie war gerade auf dem Weg in den Musiktrakt, als einer der Jungs beschloss, ihr das Kornett wegzunehmen. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte Jed Thomason, ein langer Kerl mit fettigen roten Haaren und einem mickrigen, wie aufgeklebt wirkenden Oberlippen-Bärtchen, ihr auch schon den Instrumentenkoffer aus der Hand geschlagen. Überrascht und verärgert schrie sie auf und blaffte ihn an: “Gib’s mir sofort zurück!”
“Komm und hol’s dir doch!”, erwiderte Jed grinsend und hielt das Kornett so hoch, dass sie nicht herankam. “Boah, echt witzig!”, sagte Elena, doch die ironische Antwort blieb ihr im Hals stecken. Sie hatte keine Energie für so etwas. Deshalb sprang sie einfach in die Luft und versuchte, nach dem schwarz-silbernen Köfferchen zu greifen, woraufhin Jed es – natürlich – noch höher hielt. Dann tat er so, als wollte er es ihr zurückgeben. Als sie es seufzend wieder in Empfang nehmen wollte, warf Jed es – natürlich – über ihren Kopf hinweg zu Ahmed Sayid hinüber. Und Ahmed warf es zu Callum Matheson.
Die aufgekratzten Teenager lärmten noch eine halbe Minute weiter, dann hörte Elena jemanden sagen: “Es reicht. Hört auf damit!” Als das Geschrei immer noch kein Ende nahm, erklang noch einmal die Stimme, diesmal lauter: “Ich hab gesagt: HÖRT AUF DAMIT!” Daraufhin fielen einige Kraftausdrücke. Und dann wurde ihr der Instrumentenkoffer zurückgegeben. Verwirrt hob sie den Kopf. Vor ihr stand Matt Wheeler. “Nun nimm schon”, murmelte er, und sie bekam schließlich den Tragegriff zu fassen. Sie sah noch einmal zu Matt hoch – und in diesem Augenblick wusste sie es. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und die Lider waren gerötet. Seine Haut wirkte gräulich. Und als er ihr den Koffer gereicht hatte, hatte seine Hand leicht gezittert. Sie wusste es. Sie wusste es einfach. Sie öffnete den Mund und flüsterte: “1:34 Uhr.”
Eine Sekunde lang starrte Matt sie nur an. Dann blinzelte er, schüttelte den Kopf und ging davon.
Er wusste Bescheid. Sie hatte es bereits geahnt, als sie ihn in der Schulkantine hatte umkippen sehen. Nun war sie sicher. Doch was nun? Sie würde mit ihm reden müssen. Aber wie? In der Schule? Keine Chance. Sie runzelte die Stirn, überlegte, was sie über ihn wusste. Sie hatte gehört, dass seine Eltern im Westen der Stadt einen Salon für Autopflege betrieben. Wie hieß der Laden noch mal? Kowolski? Klowski? KOWSKIS GLANZAUTOS. Das war es. Und jetzt? Sollte sie gleich dorthin laufen und darauf warten, dass Matt von der Schule nach Hause kam? Was, wenn er seine Kumpels mitbrächte? Elena schüttelte sich. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren.
Als sie sich daran erinnerte, was sie als Letztes zu ihm gesagt hatte, schien die Antwort auf der Hand zu liegen. 1:34 Uhr.