Buch
Deutschland 24,00 €
Igor Levit gehört zu den besten Pianisten seiner Generation. Doch sein Wirken geht weit über die Musik hinaus: Er erhebt seine Stimme gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Art von Menschenhass. Er engagiert sich für den Klimaschutz und tritt für die Demokratie ein. Was treibt ihn an? Woher rührt seine Energie? Der Journalist Florian Zinnecker begleitet Igor Levit durch die Konzertsaison 2019/20. Gemeinsam erleben sie eine Zeit der Extreme. Es ist das Jahr, in dem Levit öffentlich Partei gegen Hass im Netz ergreift und dafür Morddrohungen erhält. Das Jahr, in dem er für Hunderttausende Hauskonzerte auf Twitter spielt. Und das Jahr, in dem er zu sich selbst findet – als Künstler und als Mensch.
Details zum Buch
Erscheinungsdatum: 12.04.2021
304 Seiten
Hanser Verlag
Fester Einband
ISBN 978-3-446-26960-6
Deutschland: 24,00 €
Österreich: 24,70 €
ePUB-Format
E-Book ISBN 978-3-446-27005-3
E-Book Deutschland: 17,99 €
Igor Levit, geboren 1987 im russischen Gorki (heute Nischni Nowgorod), zog mit acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Er studierte an der Musikhochschule Hannover und gewann 2005 beim Arthur-Rubinstein-Wettbewerb als jüngster Teilnehmer die Silbermedaille. Zuletzt veröffentlichte er alle 32 Klaviersonaten Beethovens. Levit ist Träger des Gilmore Artist Awards, 2020 wurde er u. a. mit der »Gabe der Erinnerung« des Internationalen Auschwitz Komitees, dem Bundesverdienstkreuz und dem Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin ausgezeichnet.
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Florian Zinnecker, geboren 1984 in Bayreuth, ist stellvertretender Ressortleiter der Wochenzeitung die Zeit. Nach seinem Studium der Kulturwissenschaften und Politik schrieb er u. a. für das Süddeutsche Zeitung Magazin und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Für seine Berichterstattung über die Bayreuther Festspiele wurde er mit dem Konrad-Adenauer-Preis ausgezeichnet.
Wie habt Ihr zusammen gefunden? Florian Zinnecker: Bei einem Interview fürs SZ-Magazin. Damals hat Igor keine einzige der Fragen, die ich gestellt habe, beantwortet. Die haben ihn nicht interessiert, er wollte lieber über andere Dinge reden – ein Glück für meinen Text. Und dann war ich in dem Konzert in Hamburg, das im Buch der Anfang der Reise ist: Elbphilharmonie, 18. September 2019, der Auftakt des Beethoven-Zyklus‘ mit der Waldstein-Sonate. Ich bin völlig sprachlos rausgegangen und dachte: Was war das denn? Wie kann man das so spielen? Noch nie hatte ich dieses Stück derart dreidimensional und vielfarbig gehört. Zum ersten Mal war der Gedanke da: Eigentlich müsste man, eigentlich sollte man.
Igor Levit: Ich kann gar nicht zählen, wie oft Leute zu mir kamen und sagten: „Mach doch ein Buch, mach ein Buch“. Alle haben sich so wahnsinnig große, hochtrabende Gedanken gemacht. Als dann Florian zu mir sagte: Du, ich habe einfach so viele Fragen, und eigentlich möchte ich das aufschreiben, war das ein Tonfall, der mir sehr entspricht: Leicht und klar und schnell. No bullshit.
War die Rollenverteilung klar? Wer trägt was bei und in welcher Form? Florian Zinnecker: Natürlich war ich derjenige, der mehr Fragen gestellt hat. Dennoch ist die Art des Erzählens zusammen entstanden, im engen Austausch, im Probieren und Verwerfen. Am Ende war der Text dann auf meinem Computer.
Igor Levit: Anfangs haben wir ein paar Telefonate geführt und uns einige Male getroffen, Florian hat ein bisschen was gefragt. Es war alles in Ordnung, es waren gute Gespräche. Und dann kam die Pandemie. Im Grunde waren wir ja alle nah an einem Zusammenbruch in dieser Ausnahmesituation. Wir haben zum Teil täglich gesprochen. Und jeder Tag war anders. Die allermeisten Gespräche fanden tatsächlich in den Wochen der Hauskonzerte statt. In dieser Zeit saß ich alleine zu Hause. Ich habe mich vor Florian, wie vor vielen anderen Menschen auch, komplett durchsichtig gemacht. Es gab keine Zwischenwände, ich hab einfach alles zugelassen. Auch deswegen habe ich auf dem Titel “Hauskonzert” beharrt: Weil das nicht nur das Musikmachen zu Hause war, sondern der Akt der Türöffnung in mein inneres Wohnzimmer. Das, glaube ich, war der Schlüssel bei diesen Gesprächen: Ich vertraue darauf, dass mein Gegenüber behutsam mit dem umgeht, was ich ihm anvertraue.
Welche Rolle spielt dabei die Lebensgeschichte Igor Levits? Florian Zinnecker: Ohne sie zu kennen, würde man viele Dinge nicht verstehen. So wie Du auf ein Konzert schaust, Igor, warum Du manche Stücke nicht spielst oder nicht mehr spielst. Wie Du arbeitest, wer Dich geprägt hat, wie Du Dich politisiert hast, warum Du twitterst: Nur aus der Gegenwart heraus lässt sich das nicht erklären. Igor hat sehr früh gesagt: Pass auf, ich erinnere mich an vieles gar nicht. Daher hat das Buch gar nicht den Anspruch, eine vollständige Biographie zu sein. Es sind eher Einzelaufnahmen.
Igor Levit: Wenn es eine übergreifende Erzählung in dem Buch gibt, ist es die eines Emanzipationsprozesses, den ich durchlaufe. Meine Biographie, die Kindheit, die Jugend: All das sind Schritte zur Emanzipation. So sehe ich dieses Jahr 2020 neben all dem Furchtbaren als das befreiendste Jahr meines bisherigen Lebens. Ich habe mich hier zu Hause einfach freigespielt, und das ist auch geblieben!
Zurück zum Hauskonzert: Warum ist genau das die Situation, in der sich Igors Emanzipation so gut manifestieren kann? Igor Levit: Ich will das kurz machen, weil mir alles andere unangenehm ist: Ich habe diese Zeit gebraucht, um zu spüren, dass das alles wirklich aus mir selbst kommt. Das meine ich sehr, sehr ernst: Ich selbst reiche aus. Als Kind und Jugendlicher hatte ich da ganz andere Gedanken. Und insofern verbinde ich mit diesen Hauskonzerten wirklich ein inneres Ankommen.
Florian Zinnecker: Das Interessante daran ist ja auch: Ein Künstler hat hier den direkten Weg zu seinem Publikum genommen. Pathetisch gesprochen: In einem Moment, da aufgrund äußerer Umstände der Betrieb und alles, was damit zusammenhängt ausgeschaltet ist, findet die Kunst dennoch einen Weg. Es ist, trotz allem, Kommunikation möglich zwischen dem Künstler und seinen Zuhörern.
Das Interview führte Anselm Cybinski.
Berlin, ein Samstag im Dezember 2019, später Vormittag. Igor Levit ist müde. Sein rechter Arm schmerzt, der linke auch, es ist vielleicht nicht der beste Tag, um anzufangen.
Vor zwei Tagen ist er von einer Tour mit der Kammerphilharmonie Bremen zurückgekommen. Hamburg, Wiesbaden, Wien, Bremen, sieben Auftritte in acht Tagen, viermal das Brahms-Klavierkonzert Nr. 1, dreimal Nr. 2. In den Wochen davor spielte er an jeweils vier Abenden die erste Hälfte seines Beethoven-Sonatenzyklus in Hamburg und Luzern, an zwei Abenden vier Sonaten, an zweien fünf. Und dazwischen gab er sein Antrittskonzert als Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, auf dem Programm: ein Satz aus einer Sinfonie von Gustav Mahler, danach eine Passacaglia von Ronald Stevenson, anderthalb Stunden lang. Genug Repertoire für ein ganzes Jahr. Oder für drei Pianisten.
Vielleicht wäre es besser, ein paar Tage früher zu beginnen, es wäre leicht, ihn gut aussehen zu lassen. Dann säße Igor Levit jetzt am Flügel, den Schluss des ersten Brahms-Konzerts in die Tasten donnernd, stürmisch, innig, vor Energie strotzend. Danach Applaus. Bravo-Rufe, Ovationen.
So beginnen Bücher über Pianisten.
Und nicht an einem trüben, kalten Samstag in einem Café in Berlin-Mitte, in dem nur der Platz neben dem Eingang noch frei ist.
Aber hilft ja nichts.
Levit verspätet sich, obwohl seine Wohnung nur ein paar Häuser entfernt liegt, er läuft ohne Jacke durch den eisigen Regen. Weder seine Managerin noch seine Presseagentin wissen von diesem Termin, dabei gibt es in Igor Levits Leben beinahe nichts, was nicht über ihre Schreibtische läuft.
Aber er ist nicht beruflich hier. Er hat frei, zwei Wochen, es sind die ersten freien Tage seit September, das nächste Konzert folgt am zweiten Weihnachtstag. »Kann sein, dass ich in den zwei freien Wochen feststelle, ich brauche noch zwölf.«
Er setzt die Brille ab, fährt sich durchs Gesicht.
»Wissen Sie, Klavierkonzerte sind anstrengend. Viel anstrengender als Solo-Abende. Solo-Abende liebe ich
sehr, dann habe ich zwei Stunden auf der Bühne, und diese zwei Stunden gehören mir. Kann sein, dass ich
es verbocke. Aber es ist meins. Bei einem Klavierkonzert habe ich vielleicht vierzig Minuten, vielleicht auch nur zwanzig. Ich sitze da und kann nichts machen, ich hänge völlig an der Energie des Orchesters. Wenn die stimmt, wird es gut, wenn nicht, wird es schwierig, das weiß ich schon nach den ersten Takten.«
Er knetet die rechte Schulter, verzieht das Gesicht. Was ist mit dem Arm?
»Geht.«
Jetzt gerade schmerzt der linke fast mehr als der rechte, später erzählt Levit, dass er sich am Vorabend den Musikantenknochen im linken Ellenbogen gestoßen hat, aus Versehen und mit Schwung. Der rechte Arm
schmerzt seit Jahren: zu viel Brahms und Beethoven, zu viel von allem.
»Wenn ich später auf die Bühne müsste: kein Problem. Aber heute früh konnte ich kaum Zähne putzen.«
Eigentlich sind wir verabredet, um über ein anderes Thema zu sprechen. Genauer: über eine Frage.
Der Dokumentarfilm »IGOR LEVIT. NO FEAR.« begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines "Lebens nach Beethoven", bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen, nach seiner Identität als Künstler und Mensch.
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