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In Erinnerung an Philip Roth

19. März 1933 – 22. Mai 2018

Philip Roth ist tot, einer der größten Schriftsteller unserer Zeit, der Chronist eines halben Jahrhunderts amerikanischer Gegenwart. Generationen von Lesern haben durch ihn begriffen, wozu Literatur imstande ist: wie sie begeistert, wie sie entlarvt, wie weit sie es treiben kann auf der Suche nach der menschlichen Wahrheit. Denn Philip Roths Gegenstand war immer der Mensch, in all seiner Unerklärlichkeit. Insbesondere der männliche Mensch und seine bisweilen bizarre Unerklärlichkeit. Roths Bücher sind kraftvolle, sprühende, sarkastisch-böse Literatur, mal obsessiv, mal melancholisch. Wer seine Romane heute liest, stellt fest, dass sie nichts von ihrer Relevanz und Gültigkeit verloren haben: der frühe, zwischen sexueller Besessenheit und Schuldgefühlen explodierende Monolog in Portnoys Beschwerden, die Bedrohung durch eine Hexenjagd aus wohlmeinenden Motiven in Der menschliche Makel, die Auseinandersetzung mit dem Tod des Vaters in Mein Leben als Sohn, die erschreckend aktuelle Vorstellung einer faschistischen Machtübernahme in Verschwörung gegen Amerika – und all die anderen Buchgeschenke, die Roth uns hinterlassen hat.

Vor sechs Jahren schon hatte Philip Roth erklärt, keine weiteren Bücher mehr zu schreiben. Es war alles vollbracht. In seinem Roman Amerikanisches Idyll brütet die Schülerin Merry eine ganze Stunde lang über der Aufgabe “Was ist das Leben?” Ihre Antwort besteht am Ende nur aus einem einzigen, ebenso kurzen wie klugen Satz: “Das Leben ist nur ein kurzer Zeitraum, in dem man lebendig ist.” Wir sind dankbar, dass Philip Roth in seinen Büchern lebendig bleibt.

Jo Lendle

Unsere Autoren zu Philip Roth

Norbert Gstrein: Philip Roth. Another try

Wir wissen nicht, ob der biblische Gott – up in heaven – ein Leser ist, aber wenn er einer ist, müssen ihn die Romane von Philip Roth immer schon ziemlich eifersüchtig gemacht haben. Denn dass er eifersüchtig ist, wissen wir. Die Vorstellung, dass die beiden jetzt aufeinandertreffen und sich über unterschiedliche Weisen der Welterzeugung unterhalten und wie Philip Roth Gott fragt: „How could you do that?“, und wie Gott Philip Roth fragt: „But how did you do it?“, ist nur eine natürliche. Der eine, der so viel Schönheit hervorgebracht hat, stellt also die ethische Frage, der andere, der für ein großes Desaster verantwortlich ist, eine ästhetische. „It‘s easy“, könnte Philip Roth sagen und von den Tatsachen reden und was es darüber hinaus sonst noch gebe, von Welten und den dazu notwendigen Gegenwelten, von seinem Leben als Mann, dem Leben der Frauen und dem ewigen Vorwurf, dass sie beide davon nicht viel verstehen würden, vom Menschen überhaupt und vom menschlichen Makel, den einer von ihnen auf seine Kappe nehmen müsse. Es würde sich ein langes Gespräch entspinnen, an dessen Ende Gott nur beklagen könnte, dass er seine Welt nun einmal erschaffen habe, wie er sie erschaffen habe, und dass sie sei, wie sie sei. „You could give it another try“, könnte Philip Roth darauf sagen, „you can do better, we can do it together“, und schon könnte es losgehen: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, oder: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, und Philip Roth könnte dem unsicheren Kantonisten diesmal die Hand führen, damit er nicht wieder seine Anfängerfehler machte. Sieben Tage oder meinetwegen auch sieben mal sieben Tage. Meanwhile, down on earth, Philip Roth, we will miss you – miss you like hell.


Colm Toibin über Philip Roth

Er hatte eine wunderbare Gabe fürs Komische und einen Sinn für Abenteuer. Er nahm das, was er tat, ernst. Er war auch mutig und schrieb die Bücher, die er schreiben wollte. Mit Sabbaths Theater (1995) und Amerikanisches Idyll (1997) hatte er eine Art zweites Leben als Schriftsteller. Als Mensch war er witzig und fast jungenhaft. Vor einigen Jahren, an einem kalten Abend im Januar, ging ich in die Zankel Hall, den kleinen, behaglichen Raum für Kammermusik innerhalb der Carnegie Hall in New York, um die ersten drei Bartók-Quartette zu hören. Bevor die Musik losging, tippte mir ein Mann, der direkt hinter mir war, ziemlich heftig auf die Schulter. Als ich nach hinten schaute, sah ich Philip Roth, den ich von diesen kleinen Kammerkonzerten wie auch von Literaturveranstaltungen her kannte. Er grinste mich an. Er wirkte wie ein Kind auf nächtlichem Streifzug. Er flüsterte: „Ich hoffe, du wirst leise sein.“ Ich versicherte ihm, das würde ich. Er grinste wieder. Es war wie eine Verschwörung. Er liebte Kammermusik. Er war elegant, ein guter Stilist, der einen gewaltigen Einfluss auf das amerikanische Leben und das amerikanische Schreiben genommen hat. Er war witzig und eine angenehme Gesellschaft. Er hatte ein langes und produktives Leben als Schriftsteller, von Goodbye, Columbus im Jahre 1959 bis Nemesis im Jahre 2010. Er ist einer der wenigen Schriftsteller, dessen Werk schon zu Lebzeiten von der Library of America herausgegeben worden ist. Er war eine überragende Persönlichkeit der amerikanischen Literatur.


© Sonja Maria Schobinger Photography

Rolf Lappert über Philip Roth

Als ich 2006 zum ersten Mal in New York war – endlich, nachdem ich zuvor mehrmals die USA bereist hatte – und tagelang zu Fuß durch Manhattan gewandert bin, habe ich mir ständig ausgemalt, wie es wohl sein würde, hier Philip Roth zu begegnen. Nun bin ich kein aufdringlicher oder indiskreter Mensch, geschweige denn ein Fan (von irgendetwas oder irgendjemandem), der beim Anblick des Objektes seiner Verehrung zum unverfrorenen Ranschmeißer wird, zum ungehobelten Autogramm- und Selfie-Jäger. Wahrscheinlich, so stellte ich mir die Szene vor, würde ich bei seinem Anblick erstarren, vor Ehrfurcht und vor ungläubigem Erstaunen darüber, diesen Moment erleben zu dürfen. Natürlich wäre ich nicht an ihn herangetreten, um nach seiner Hand zu greifen und ihm zu sagen, dass ich seine Arbeit bewundere und es eine große Ehre für mich sei, ihn hier… Philip Roth war einer meiner frühen Helden der Literatur, »Portnoys Beschwerden« ein Buch, das mich als Leser begeistert und als Möchtegernautor herausgefordert und mir gezeigt hat, was ein Roman kann, was für unbekannte, verstörende Welten er auszubreiten und in welche Abgründe er zu blicken vermag. Und wie tiefgründig und gleichzeitig saukomisch man eine Geschichte erzählen kann, in der die elementaren Dinge der menschlichen Existenz behandelt werden. Danach habe ich alles von Roth verschlungen, nicht alles fand ich großartig, mit einigen seiner Bücher konnte ich nichts anfangen. Es ist das Gesamtwerk dieses Mannes, das mich tief beeindruckt, seine in Kunst umgesetzte Wahrnehmung des Lebens, mal bissig und zynisch, mal obszön und von grenzwertigem Männlichkeitswahn getränkt, mal schonungslos und selbstentblößend, mal düster und depressiv, mal voller Liebe und Empathie – aber immer im Zusammenspiel mit Scheitern und einer Verzweiflung, die wie ein Schatten im allgegenwärtigen Wissen um das unausweichliche Sterben und Verschwinden auf ihm, seinen Figuren und uns, seinen Lesern, liegt.


Richard Ford

Richard Ford in DIE WELT

Ich habe Philip Roth nicht gekannt, außer eben durch seine Romane und Erzählungen – die ich während meines inzwischen auch ziemlich langen Lebens immer mit großer Bewunderung und Begeisterung gelesen habe. Er war ein mutiger, kühner Autor, einer, der sich etwas traute; der Kritik aushielt, um uns die höheren Wahrheiten über uns selbst vorzuführen, Wahrheiten, die, weil sie schwierig, dreckig und unangenehm sind, wir selbst nicht so gern an uns heranlassen. Ich meine die unserer sexuellen Ichs, unserer Ichs als Familienwesen, als Väter, Söhne und Töchter, unserer Ichs als Bürger einer oft nur vordergründig frei wirkenden Republik, unserer religiösen Ichs. Roth hat sich selbst gewissermaßen zum Test gemacht, zum Wohl der anderen. Ich habe ihn besonders dafür respektiert, gerade am Ende seines Lebens, dass er so mutig war, sich vom Schreiben zurückzuziehen und sich zur Ruhe zu setzen, in dem Moment, als er das für das Beste
hielt: als er glaubte, dass er als Schriftsteller alles gegeben hatte. Meine große Angst ist – eine Angst, die ich jetzt, wo Roth tot ist, besonders stark fühle –, dass so ein Mut, eine
solche Radikalität und Kühnheit unter uns Schriftstellern heute immer weniger, immer schwächer wird; und immer mehr unterdrückt werden wird durch politische Korrektheiten und den wirtschaftlichen Druck auf unsere Branche, durch die hässlichen, gewalttätigen, zynischen Effekte von politischem Opportunismus. Es gilt aber, den Mut, die Risikofreude, den Ehrgeiz zu bewahren, und darin ist Roth ein Vorbild: Er hat seine Freiheit, nicht zuletzt die der Vorstellungskraft, voll ausgeschöpft.


T.C. Boyle in DIE WELT

Niemand, außer vielleicht Bruce Springsteen, hat über junge Liebe mit größerer Kraft und Unmittelbarkeit geschrieben als Philip Roth. Von all seinen Büchern schätze ich „Der Ghostwriter“, „Verschwörung gegen Amerika“ und „Amerikanisches Idyll“ besonders, am häufigsten wiedergelesen habe ich aber sein erstes, „Goodbye, Columbus“. Es versetzt mich immer sofort zurück in eine andere Zeit in meinem Leben, eine, in der ich jung und
verliebt war und mich entlang der Grenzen zum Erwachsenenleben und Sexualität entlangtastete, als wäre ich ein Blinder und die Wahrheit in Blindenschrift geschrieben. Und beim Lesen verliebe ich mich immer wieder aufs Neue in Brenda Patimkin, mit all ihrer Unschuld, ihrer Schönheit, ihrer reinen Freude – und ihrem Vertrauen in einen Erzähler, dessen Zynismus und Abneigung dem bürgerlichen Leben gegenüber schließlich ihre Beziehung tötet. Es ist herzzerreißend – und herzzerreißend schön. Die erste Liebe, Sommerliebe, Liebe, die ihre ganze hormongesättigte Größe aus den Poren atmet, aus der feuchtwarmen Luft, aus dem Nichts, das immer war und immer sein wird – das ist es, was Roth uns gegeben hat, ganz jenseits von seinen Errungenschaften als Schriftsteller und dem Reichtum seines OEuvre und dafür werde ich ihn immer in Ehren halten.


Navid Kermani

Philip Roth hat mir wie kein anderer Angst gemacht vorm Alter, mit jedem Buch mehr. Dafür, auch dafür, bin ich ihm immer dankbar. Möge seine Seele froh sein.


Joyce Carol Oates in DIE WELT

Philip Roth und ich sind mehr oder weniger zur selben Zeit erwachsen geworden: im Amerika der repressiven Fünfzigerjahre, einer Zeit, die, literarisch betrachtet, vor allem eine des Understatements war, der Unpersönlichkeit, ganz so, wie es der Hohepriester T.S. Eliot gepredigt hatte: Poesie sollte eine Flucht vor dem Selbst sein. Kraftvoll, brillant, schillernd, manchmal bitterböse und immer mit einem guten Gespür fürs Lächerliche hat Philip das alles zurückgewiesen. Er verehrte Kafka – aber eben auch den Komiker Lenny Bruce. Eigentlich ist genau das eine typische Roth-Anomalie: Kafka wird durch Lenny Bruce interpretiert. Es ist natürlich mehr an Philip gewesen als nur Wildheit und Rebellion: Im Grunde seines Herzens war er ein Moralist, immer dabei, gegen Scheinheiligkeit und Verlogenheit anzukämpfen, im öffentlichen wie im privaten Leben. Und: Die wenigsten von uns hatten damals seine „Verschwörung gegen Amerika“ für eine Prophezeiung gehalten, aber heute wissen wir es besser.


Roberto Saviano zitiert Philip Roth auf Instagram

“Alles was ich habe, um mich zu verteidigen, ist das Alphabet; das wurde mir gegeben statt eines Gewehrs.”

"Tutto quello che ho per difendermi è l'alfabeto; è quanto mi hanno dato al posto di un fucile." Philip Roth Che la terra ti sia lieve...

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